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Archiv-Artikel

Wie die DKP die Gemüsehändler ruinierte

Ein Schwung 68er aus Bremen treffen und erinnern sich – und langweilen so manchen derjenigen, die sich damals vor ihnen fürchteten. Für die Generation ihrer Kinder ist ein als Buch erschienenes Gesprächsprotokoll dagegen durchaus interessant geraten – und zum Teil äußerst komisch

„Der Rotwein ist knapp zwölfmal so teuer wie der algerische Rote, den wir als Schüler getrunken haben“

von EIKEN BRUHN

Der Titel ist schlicht und enthält zwei Botschaften, von denen eine zutrifft und die andere nicht. „Ein paar 68er treffen sich und rechnen ab“ haben der Spiegel-Redakteur Cordt Schnibben und seine WDR-Kollegin Irmela Hannover ihr kürzlich erschienenes Buch „I can’t get no“ im Untertitel genannt. Ein Wochenende lang, so war es schon im Spiegel zu lesen, trafen sich 16 Menschen in Worpswede – zum Reden. Gemeinsam ist ihnen – mit einer Ausnahme, der Tagesspiegel-Redakteurin Tissy Bruns – dass sie in den 60er Jahren in Bremen zur Schule gingen, von einer besseren Welt träumten und dafür auch auf die Straße gingen. Selbst wenn der Anlass „nur“ die Erhöhung der Straßenbahnpreise war.

Das Treffen fand wirklich statt. Das belegen Fotos, auf denen die Runde zu sehen ist, wie sie um einen Konferenztisch sitzen. Darunter Krista Sager, die ehemalige Wissenschaftssenatorin in Hamburg, Partei- und Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bund und heutige Grünen-Bundestagsabgeordnete. Oder Bernhard Docke, der Bremer Rechtsanwalt, der das Guantánamo-Opfer Murat Kurnaz verteidigt. Über die anderen ist seltener in der Zeitung zu lesen, auch wenn die meisten lokale Berühmtheiten sind. Beispielsweise Robert Bücking, der damals nicht wusste, wo im Ostertorviertel der Club war, in dem Rudi Dutschke auftrat, und heute so etwas wie der „Bürgermeister“ dieses einzigen Bremer Szeneviertels ist. Der erst in diesem Jahrtausend den Grünen beitrat, dann aber doch nicht Bausenator werden durfte.

Am anderen Kopfende sitzt ihm Joachim Barloschky gegenüber, der eine ähnliche Funktion wie Bücking hat, aber in einem Stadtteil, der das genaue Gegenteil vom Viertel mit seinen schnuckeligen Häuschen und kopfsteingepflasterten Straßen ist. Barloschky wirkt in Tenever, einer Hochhaus-Siedlung am Stadtrand. Hier wohnen diejenigen, die wenigstens theoretisch viele Gründe hätten, eine andere Gesellschaft zu wollen – so wie Barloschky, der immer noch in die Kantine geht, wie er beinahe stolz sagt, und mit der Flagge des Vietkong nach Worpswede kommt.

Bücking und Barloschky bilden ein schönes Gegensatzpaar: Der eine, Bücking, stabilisiert das als menschenverachtend ausgemachte System mit seinem bürgerschaftlichen Engagement. Der andere, Barloschky, ist der Träumer, der nicht begreifen will, dass es das „richtige Leben“ niemals geben wird. Und während Bücking glaubt, dass es kein gutes Ende genommen hätte, wenn er und seine Genossen damals „die Macht“ bekommen hätten, ist Barloschky überzeugt, dass die Welt heute eine bessere wäre – ganz ohne Opfer.

Es sind gar nicht so sehr diese Dispute, die das Buch lesenswert machen, sondern das Gesamt-Bild, das durch die Erzählungen von 16 Individuen entsteht: Sie relativieren und korrigieren ihre Erinnerungen, nehmen sich gegenseitig hoch. 343 Seiten Gesprächsprotokoll – ein Drittel weniger hätte es auch getan – werden lesbar durch kleine Texte, die das Gespräch unterbrechen. Sie vermitteln die Atmosphäre, in der sich die heute 52- bis 57-Jährigen getroffen haben: Papierstapel und Mineralwasser-Flaschen, „die in Zwanziger-Formationen auf beiden Längsseiten des Tischrechtecks so sachlich wirken, als ginge es darum, in den nächsten drei Tagen etwas zu verhandeln“. Über den Wein heißt es, er sei „knapp zwölfmal so teuer wie der algerische Rote, den wir als Schüler getrunken haben“. Und das Thema Geschlechterverhältnisse verleitet die Männer „zu Witzen und Witzchen, die nicht besser waren als damals“. Darüber hinaus erklären die Texte, was „damals“ in der großen weiten Welt geschah und im kleinen Bremen, wo in Ermangelung einer Universität Teenager „die Bewegung“ anführten.

Die LeserIn versteht: Es geht gar nicht um die etwas vollmundig angekündigte „Abrechnung“ – wobei offen bleibt, ob miteinander oder mit denen, die „den 68ern“ die Schuld geben am „Zerfall der Familie“ im Besonderen und der Gesellschaft im Allgemeinen. Nein, es geht um Erinnerung.

Das will manch einer nicht lesen, etwa der taz-Autor Friedrich Küppersbusch, der sich darüber beschwert, dass man „in der Schülerratssitzung als Unterstufensprecher keine günstige Pausencola fordern konnte, ohne dass dir die 13er-Jahrgänge erst mal ’ne grundlegende Haltung zu Vietnam abverlangten“. Für „hochgewürgte Zweiterhand-Erinnerungen“ interessiert er sich deshalb nicht. Das muss er auch nicht: Die AutorInnen und ihre GesprächspartnerInnen haben das Buch nicht für ihn gemacht, sondern die Generation ihrer Kinder. Die „sollen nun endlich erfahren“, heißt es in der Widmung, „warum ihre Eltern so seltsam sind“.

In diesem Satz offenbart sich eine Schwachstelle des Buchs: Diese Leute halten sich für etwas Besonderes – was gerechtfertigt sein mag, allein, man versteht nicht, warum. Eltern sind für ihre Kinder immer seltsam. Und Kinder neigen in einem gewissen Alter dazu, sich wahnsinnig über das Unrecht in der Welt aufzuregen. Das ist heute nicht anders als 1967 oder 1968. Auch wenn über die Generationen Golf oder Praktikum immer wieder behauptet wird, sie würden sich nur für Marken interessieren (respektive in der virtuellen Welt versumpfen). Ein „latentes Desinteresse an den Geschehnissen der Welt“ bei ihren Kindern nervt auch die Buch-Autorin Hannover, wobei dieses Bild von anderen zurechtgerückt wird: Ihnen fällt dann doch ein, dass sie damals, als Teenager, keine Angst vor Arbeitslosigkeit hatten. Und Krista Sager erinnert daran, dass sie vor dem Fall der Mauer eine schöne „Welterklärung“ hatten – und wussten „wer die Guten sind und wer die Bösen“, wie eine andere sagt.

Vielleicht sehen sie es nicht, weil ihre Kinder anders sind. Aber der Typ des jugendlichen Weltverbesserers, der Küppersbusch damals so „auf die Nuss gegangen“ ist – dem er dennoch dankbar für die Durchlüftung des bundesrepublikanischen Alltags ist – demonstriert auch heute noch sein Nichteinverstandensein mit Schulnoten, dem Irak-Krieg oder Castor-Transporten. Das „Austarieren“ der Grenzen der Demokratie, das Sager für sich und ihre MitstreiterInnen in Anspruch nimmt, ist kein abgeschlossenes Unterfangen. Um wirklich zu verstehen, worin sich die Rebellen ihrer Generation von anderen unterscheiden, hätten diese 68er nicht nur untereinander diskutieren müssen, sondern mit Jüngeren.

Dann allerdings wäre weniger Platz gewesen für all die bizarren Anekdoten, die das Leben als ParteifunktionärIn und / oder revolutionäres Objekt der Begierde mit sich bringt. Etwa wie man als DKP-ler mit billigen Kartoffeln die Gemüsehändler ruinierte. Oder wie 22-Jährige in Limousinen durch die DDR kutschiert wurden. Hilfreich wäre aber ein Glossar für die Abkürzungen gewesen: Wer nicht dabei war, wird sich nie merken können, wer im KBW und was der MSB Spartakus war und worin sich DKP und KPD unterschieden. Warum auch?