: McDeutschland
POMMES Am 4. Dezember 1971 eröffnete McDonald’s seine erste Filiale in Deutschland. Die sonntaz gratuliert mit vier Geschichten. Von Grillern, Ketchupschlachten, Luxusklos und Integrationsburgern
McDonald’s ist für mich seit jeher eine Toilette. In jungen Jahren, mit 19, bin ich drei Monate durch die USA getrampt. Ich hatte nahezu kein Geld, habe in öffentlichen Parkanlagen geschlafen und bin morgens, bei Sonnenaufgang, zum großen M gepilgert, um mich auf der McDonald’s-Toilette zu rasieren und zu waschen. Die Toiletten waren stets sauber, das Personal hat mich nie behelligt und der Kaffee war extrem billig.
Auch später, mit ein wenig mehr Geld, hat mich die M-Toilette auf meinen Reisen begleitet. Ob beim Sonnen am Strand von Ipanema in Rio de Janeiro oder bei einem Einkaufsbummel durch die verwinkelten Gassen des Marais-Viertels in Paris: auf die M-Toilette war Verlass.
Nur einmal, ich glaube, es war in Venedig, musste ich dringend und fand kein M. Verzweifelte Suche, höchste Alarmstufe, einfach rein in ein Ristorante, ohne zu fragen. Als ich aus der Toilette kam, traf mich der geballte Touristentoilettenhass des Kellners. Mit hochrotem Kopf und lautstarker Stimme schimpfte er. Ich entschuldigte mich, bat um Vergebung, bot einen Euro als Gegenleistung. Nichts half: Noch draußen auf der Straße verfolgte mich sein verbaler Zorn.
Diese Erfahrungen zeigen: Die M-Toilette ist eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften der Weltgeschichte. Sie sorgt dafür, dass ich von Ouagadougou in Afrika bis Anchorage in Alaska unter relativ sauberen Umständen kostenfrei und gediegen kacken und pinkeln kann.
Danke, M-Toilette, danke.
ALEM GRABOVAC
Darf ich Sie mal was fragen?“, fragt eine noch sehr junge Frau am Esstisch. Der Tisch sieht aus wie ein riesiger Talkshow-Moderationstresen und steht bei McDonald’s am Berliner Hermannplatz. Der Hermannplatz im Schatten des größten Karstadt der Hauptstadt ist eine Art Marktplatz der deutschen Integrationsdebatte, flanieren hier im Stadtteil Neukölln doch täglich Bürger türkischer, arabischer, nigerianischer und schwäbischer Herkunft – und der McDonald’s ist die angeschlossene Kantine für alle, besonders in den Abend- und Nachtstunden.
Die junge Frau arabischer Herkunft hat denn auch eine Frage, die sie am hellichten Tag niemals an einen älteren, urdeutschen Mann richten würde, einfach mal so: „Glauben Sie eigentlich an die Liebe?“
Ein weites Feld, aber wie bezaubernd ist es, sich in jenem kurzen Zeitraum, dessen es bedarf, um einen Cheeseburger mit einer kleinen Portion Pommes zu verspeisen, über die wirklich zentralen Fragen zu verständigen? Nachts um halb eins Niklas Luhmann zu widerlegen, der da behauptet hatte, dass die Verständigung zwischen zwei Menschen unwahrscheinlich sei – „I’m lovin it“.
Diese McDonald’s-Filiale ist ein kapitalistisch organisierter Multikultitempel, in dem Menschen aller Nationalitäten, Identitäten und Religionen hinter und vor dem Tresen stehen, vor dem Tresen meist in einer Schlange: Konfliktfrei geht es dort zu, auch ohne dass man Nummern zieht. Höflich lassen die Menschen einander den Vortritt – man hat ja ein gemeinsames Anliegen von so universeller Dringlichkeit wie die Liebe: nämlich seinen Hunger zu stillen.
In diesen Hallen wird das Frittierfett zum sozialen Kitt, theoretisch zumindest. Natürlich, nicht wenige Menschen mümmeln auch hier lieber ganz allein vor sich hin. Aber meist betrachten sie einander zumindest mit Neugier. Das gemeinsame Mahl ist in allen Kulturen der Welt ein zentrales Ritual der Verbindlichkeit. Und die Liebe, was ist nun mit der? „Es gibt sie doch nur, wenn man an sie glaubt.“
MARTIN REICHERT
Neben dem Eingang, da steht es: Dieses McDonald’s, hier in der Martin-Luther-Straße in München Obergiesing, rote Kunstlederbezüge, runde Hocker, ist die älteste deutsche Filiale der Burger-Kette. Nur eine silberne Tafel weist darauf hin, mehr nicht. Und trotzdem kennt Teamleiter Oliver Bunch die Vergangenheit seiner Arbeitsstelle sehr genau. Sie ist ein Stück weit auch seine eigene Geschichte.
„Dass der erste McDonald’s in Deutschland hier eröffnet hat, hat einen einfachen Grund.“ Bunch zeigt nach Süden. „Da hinten, in der alten McGraw-Kaserne, war früher das US-Militär stationiert.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg bezogen amerikanische Soldaten das Gelände, das kurz zuvor noch die Nazis genutzt hatten. Die GIs waren dort bis 1992 stationiert. Einer davon: Oliver Bunchs Stiefvater.
Bunch, heute 45, lebte als Kind mit seinen Eltern in dem Wohngebiet, das direkt an die Kaserne anschloss. Das US-Verteidigungsministerium hatte eine Außenstelle der University of Maryland und ein Einkaufszentrum mit amerikanischen Waren für die Soldaten eingerichtet, außerdem eine Bowlingbahn.
„Anders als die Deutschen kannten die Amerikaner McDonald’s aus ihrer Heimat“, erzählt Bunch. „Mit ihnen hat diese Filiale zu Beginn ihr Hauptgeschäft gemacht.“ Bunch selbst arbeitet nun drei Jahre bei McDonald’s. „Ich bin mit der Burger-Kultur aufgewachsen“, sagt er. „Mein Stiefvater war ein leidenschaftlicher Griller.“ MARLENE HALSER
Der Abschied von McDonald’s ist nicht leicht. Meiner guten Freundin Silke zumindest fiel er schwer. Vor dem Studium arbeitete sie übergangsweise in der Küche des Schnellrestaurants. Am Rande einer Autobahn. Sie schichtete Burger, frittierte Nuggets, brutzelte Fleisch.
Ob das kein nerviger Job war? „In der Pause durfte ich meine eigenen Burger kreieren“, antwortet Silke, als erkläre das, warum sie gern Nachtschichten schob und Pommes nachfüllte. Fettige Pommes. Dann vielleicht ein übel riechender Job? Nö, findet Silke. Obwohl. Ihr letzter Tag, der stank. Gewaltig.
Es war Mitternacht und die letzten Kunden gegangen, als Silke anfing, den Grill zu putzen. Sie bemerkte nicht, dass sich die Kolleginnen hinter ihrem Rücken mit Ketchup- und Mayospendern bewaffneten und langsam an sie heranschlichen. Bis es plötzlich rot und weiß an ihr heruntertropfte.
Zehn Minuten dauerte die Schlacht. Silke war ausgeliefert, hatte keine Saucen, um zurückzuschießen. Mit Ketchup an Stellen, wo er nicht hingehört, wollte sie sich schließlich umziehen. Da lauerte das nächste Problem. Ihr Spind war leer. „Meine richtigen Klamotten hatten sie ins Tiefkühllager gelegt. Es gab Jeans auf Eis.“
Meine gute Freundin Silke klingt wehmütig, wenn sie von McDonald’s erzählt. Obwohl sie es ein Jahr lang vorzog, ihre Pommes weder rot noch weiß noch rot-weiß zu essen. Sondern nur mit Salz. JAN PEDD
■ Klima: Ein Deutscher setzt etwa 10 Tonnen CO2 jährlich frei. 2010 stieß McDonald’s in Deutschland 394.805 Tonnen aus, den Fleischkonsum nicht inbegriffen – so viel wie eine Stadt mit 39.480 Einwohnern. „Wir sind kein grünes Unternehmen“, sagt der McDonald’s-Deutschland-Chef.
■ Müll: Ein Deutscher produziert im Schnitt 455 Kilo Müll – jährlich. 2010 produzierte McDonald’s 63.354 Tonnen – so viel wie eine Stadt mit 139.240 Einwohnern.