: AKW soll in Erdbebengebiet
Die EU-Kommission wird den Bau des bulgarischen Atomkraftwerks Belene voraussichtlich genehmigen – trotz Sicherheitsbedenken und tausender Protestmails
BRÜSSEL taz ■ Die Geschichte klingt wie das Drehbuch für einen mittelmäßigen James-Bond-Film: Im bulgarischen Belene soll ein AKW gebaut werden, obwohl das Projekt 1992 von der damaligen Regierung schon einmal gestoppt wurde. Denn das Gebiet ist erdbebengefährdet und das Unternehmen wirtschaftlich nicht rentabel. Nun feiert die Totgeburt Wiederauferstehung. Umweltverbände behaupten: Dahinter stecken der russische Erdgasmonopolist Gazprom und die korrupte bulgarische Regierung, die enge Beziehungen zu den Führungskadern der ehemaligen Sowjetunion unterhält.
Der Verein Campact ruft zum Protest auf: Seit Wochen schicken besorgte Bürger Energiekommissar Stavros Dimas E-Mails mit der Aufforderung, keine positive Stellungnahme zu Belene abzugeben. Vom Votum der EU-Kommission hängt es ab, ob Euratom und die Europäische Investitionsbank dafür Kredite geben. Ohne öffentliche Mittel ist das Projekt vom Tisch, denn private Banken wollen nicht einsteigen – das finanzielle Risiko ist ihnen zu hoch.
Auch Gueorgui Kastchiev äußert sich kritisch. Der Atomphysiker war Chef der bulgarischen Atomsicherheitsbehörde und arbeitet heute im Institut für Risikoforschung der Uni Wien. Glaubt man Kastchiev, so müssen auch Atomkraftbefürworter das geplante AKW bekämpfen – nicht nur aus Sicherheitsgründen. Bulgarien mache sich damit noch abhängiger von Moskau.
Schon jetzt bezieht das Land sein gesamtes Erdgas und die Brennstäbe für seine AKWs aus Russland. Der nun geplante Reaktor soll von einem Konsortium gebaut werden, hinter dem Gazprom steckt. Areva und Siemens wären ebenfalls mit von der Partie. Gazprom benutze Belene als „trojanisches Pferd“, um von Bulgarien aus den europäischen Markt aufzurollen, behauptet der bulgarische Umweltaktivist Petko Kovachev.
Kastchiev hält sich mit politischen Aussagen zurück. Er sei Wissenschaftler und liefere fachliche Argumente. Den vorgesehenen Reaktortyp AES-92 hält er für wenig vertrauenerweckend. Davon sei bislang nur ein Modell in China am Netz. In Bulgarien selbst sei alles Know-how für ein Projekt dieser Größenordnung Anfang der 90er-Jahre verloren gegangen, als Spezialisten in Scharen das Land verließen.
Bulgarien ist heute eines der ärmsten Länder der EU mit einem sechseinhalbmal so hohen Pro-Kopf-Stromverbrauch wie der Durchschnittsverbrauch der alten EU-Länder. Auch beim Strompreis steht Bulgarien an der Spitze. Es gibt hohe Verluste wegen überalterter Leitungen und schlechter Isolierung. Entsprechend groß ist das Einsparpotenzial, das den Bau neuer AKW überflüssig machen würde.
Dennoch wird damit gerechnet, dass die EU-Kommission das Projekt gutheißen und damit den Weg für Kredite frei machen wird. Zum einen steht Energiekommissar Andris Piebalgs unter scharfer Beobachtung. Ihm wird unterstellt, zu viel über erneuerbare Energien und Einsparmöglichkeiten zu reden und die Option Atomkraft nicht in seine Rechnung einzubeziehen. Vor allem Frankreich, das neue AKWs plant, macht hier Druck. Denn je weniger neue Reaktoren gebaut werden, desto weniger rentabel wird die Technologie.
Druck kommt aber auch aus der bulgarischen Regierung. In Sofia wird die im Beitrittsvertrag erzwungene Abschaltung zweier Reaktoren des AKW Kosloduj noch immer als nationale Schmach empfunden. Ein zweites Mal will man sich nicht von Brüssel diktieren lassen, welche Energieträger die Zukunft des Landes sichern sollen.
DANIELA WEINGÄRTNER