: Verrat am schönen Bild
PREMIERE Alexander Giesches visual Poem „The World of Reason“ hat ein ärgerliches Ende, das beinahe den ganzen Abend verdirbt. Dabei ist der von großer Bildmagie und Lust am Nonsense
Der Schluss – also der Schluss ist ein Ärgernis. Der Abend wäre ja ganz zauberhaft, wenn am Ende nicht diese stupide, die Poesie der szenischen Bilder – ihre Vieldeutigkeit, ihre sehr geplante Unbestimmtheit und ihren Nonsense – verratende Anwendermoral verbalisiert würde: „Heute“, muss Andy Zondag da aufsagen, „ist unser Feindbild Nummer eins also…“ – und: och nö!, denkst du da, och nö,nö, nö, verdammt!
Denn da waren ja die zärtlichen Bilder, da waren die lustigen Momente von Alexander Giesches visual Poem „The World of Reason“ im Schauspielhaus des Bremer Theaters einfach so viel klüger, so viel weiter, so viel weiser so viel vielsagender als dieses – Gerede. Das muss nicht sein. Das hätte nicht sein müssen. Das sollte nicht sein. Das ist – schade. Denn Giesche gelingt es, auch dank des höchst spannungsvollen Spiels von Tänzer Zondag und Schauspielerin Nadine Geyersbach, faszinierende Bilder aufzublättern. Mit denen schickt er die ZuschauerInnen auf eine Reise, deren Route, deren Dramaturgie eher mittels freier Assoziationen bestimmt scheint als durch eine zwingende, rationale Logik: Wie sollte sich auch, vom Blickpunkt der Rationalität her die Welt der Vernunft in den Blick bekommen lassen?
Bei der Balance auf der Schwelle zur bildenden Kunst profitiert Giesche stark von der Kooperation mit Bühnenbildnerin Nadia Fistarol: Gemeinsam erzeugen sie Raum-Bilder von großer Suggestivkraft, so etwa, wenn Zondag und Geyersbach einen Wald von schwarzen Fahnen pflanzen, die, über eine Düse in der Halterung bewegt, im Winde flattern: Ein Moment, der – das Weltraummotiv ist deutlich gesetzt – an das bei der Mondlandung entrollte Star Spangled Banner erinnert. Erinnerung, die aber – schwarze Flaggen – überblendet wird von den Bildern der Terrorfahnen des IS. Und dieser Bildkomplex kippt ins Komische, als, nach einem Blackout, erst die Fahnen alle in die entgegengesetzte Richtung weh’n, und nach einem zweiten: hängen sie schlaff hinab.
Nein, das ist keine Handlung. Und nacherzählt hört es sich vielleicht ziemlich albern an, das ist das Risiko: Aber es ist genau diese Geduld, ein Motiv auszukosten, auf die es ankommt, die Beharrlichkeit, mit der die Möglichkeiten, die eine szenische Konstellation birgt, abgeklopft und abgetastet werden, bis sich aus ihr ein Sinn vielleicht erst ergibt, der dann doch, nahezu im selben Augenblick, in dem er greifbar wird, in sich zusammenfällt – wie ein Soufflé. Sinnlos, vielleicht. Aber schön. BES