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Archiv-Artikel

Präsident oder irgendwas in der Art

TENNIS Der 34-jährige Michael Berrer stellt zu seinem Karriereende fest, dass für ihn einiges mehr möglich gewesen wäre. Auch deshalb strebt er nun eine Führungsposition im deutschen Verband an

INDIAN WELLS taz | Noch einmal Kalifornien? Michael Berrer war sich nicht sicher, ob er sich die lange Reise in seinem letzten Jahr als Tennisprofi antun sollte. Mehr als 9.000 Kilometer für vielleicht ein einziges Spiel in der Qualifikation? Aber die Vorfreude auf das besondere Turnier in der kalifornischen Wüste überwog. Mit einem Sieg gegen den Franzosen Richard Gasquet, der beim Stand von 6:7, 6:4, 1:3 aufgeben musste, landete der Schwabe gar noch einmal in Runde drei. „Tolle Sache“, sagt er, „ich genieße hier jeden Tag.“

Vor ein paar Monaten hatte Berrer entschieden, dies solle sein letztes Jahr als Tennisprofi sein. Eine Wahl für die Familie, für seine Frau und die beiden Kinder. Dennoch spricht er von der schwersten Entscheidung seines Lebens. „Ich hatte eine sooo schöne Zeit, es ist einfach ein Traum. Ich stehe jeden Tag gern auf und gehe zum Training, es macht mir einfach so viel Spaß, mich mit 15 Jahre Jüngeren zu messen. Aber irgendwann muss man ja aufhören.“

Geht man nach Art der Buchhalter vor, dann stehen auf der Gewinnseite nach 16 Jahren als Profi rund 80 Siege im Einzel, zwei Finals auf der ATP-Tour im Einzel und ein Titel im Doppel mit Rainer Schüttler bei den BMW Open des Jahres 2008, ein Sieg gegen Rafael Nadal, ein gewonnener Satz gegen Roger Federer, zwei Spiele für Deutschland im Davis Cup, und in der Weltrangliste gehörte er ein paar Monate lang zu den besten 50. Aber das alles ist nicht halb so viel wert wie die erlebte Zeit, wie die Begegnungen und die tägliche Herausforderung.

War es so, wie er sich das vorgestellt hatte als junger Kerl? „Wenn ich es noch einmal machen könnte, würde ich weggehen aus Deutschland, vielleicht auf ein College in den USA, auf jeden Fall in ein professionelleres Umfeld. In Deutschland haben viele Leute keine Ahnung, wie man einen Profi aufbaut. Ich hab viel investiert, der Verband hat mir auch geholfen, aber ich hätte viel, viel mehr machen können. Ich hab bestimmt einige Jahre verschwendet.“

Es ist eine nüchterne Bestandsaufnahme. Je länger er über die Zukunft, über Reformen und neue Möglichkeiten redet, desto mehr ahnt man, dass er nicht einfach so von der Tennisbühne verschwinden wird. Nach dem Studiumsabschluss in Sportpsychologie würde er gern irgendwie weitermachen, sagt Berrer, und es gebe schon eine Sache, die ziemlich konkret sei.

Und dann hebt der 34-Jährige zu einem kleinen Vortrag an, der wie eine Bewerbung auf einen Posten in der Führung des Deutschen Tennis Bundes (DTB) klingt. „Der DTB wird sicher in den nächsten Jahren einiges dafür tun, dass wir unseren Nachwuchsspielern mehr bieten können. Ich glaube, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, weil wir in den nächsten fünf Jahren keinen Top-5-Spieler haben. Ich bin überzeugt, dass da jetzt Leute am Werk sind, bei denen was passieren wird. Der größte Tennisverband der Welt wird das hinkriegen müssen, aber jeder ist gefordert, das ist das Schöne. Jeder einzelne Trainer hat es in der Hand, jeder einzelne Verband hat es in der Hand.“

Kann es sein, dass er sich womöglich in der Rolle des nächsten Präsidenten sieht? Irgendwas in der Art könne er sich sehr gut vorstellen, sagt Berrer, das sei doch der erstrebenswerteste Job, den es gebe. Das hat schon lange keiner mehr behauptet, aber jetzt geht es erstmal darum, eine ganz normale, aber gleichwohl traumhaft schöne Karriere angemessen zu beenden. In Indian Wells wird er am Dienstag gegen den Franzosen Gilles Simon spielen, der Plan für die nächsten Monate steht fest, und jeder letzte Besuch eines Turniers wird eine besondere Bedeutung haben. Die Zukunft nimmt immer deutlicher Gestalt an, aber noch zählt die Gegenwart. DORIS HENKEL