: Ein unbestechlicher Massenmörder
Der Historiker Max Gallo zeigt den Revolutionär Robespierre als flammenden Redner und einsamen Menschen
Anlässlich der Frage, ob RAF-Terroristen vorzeitig entlassen, gar begnadigt werden sollen, taucht aus der Geschichte eine quälende Gestalt wieder auf: die des Verbrechers aus edlen Motiven, der, wie er sagt, durch Mord unmittelbar der Menschheit und ihrer Wohlfahrt dienen und sie von ihren Feinden befreien will.
Die RAF-Leute sind nicht die berühmtesten dieser tugendhaften Verbrecher, keineswegs. Der größte Ruhm kommt wohl Maximilien de Robespierre zu, den 1794 im Alter von 36 Jahren jene Guillotine köpfte, welche in der kurzen Zeit seiner Schreckensherrschaft das zentrale Instrument der Reinigung und Erneuerung geworden war. Während der von Robespierre geleitete Wohlfahrtsausschuss herrschte, verurteilten die Revolutionstribunale 16.000 Menschen zum Tode; darüber hinaus starben 30.000 Aufständische. Insgesamt keine gleichsam normalen Bürgerkriegsopfer, vielmehr ging es um systematische Säuberungen – bringt die Schlechten und Bösen, die Verräter und Volksfeinde zum Verschwinden, und es wird die Humanität herrschen.
Max Gallo, Romancier und Historiker, Pressesprecher des Präsidenten François Mitterand und Minister, hat diesem prinzipienfesten, bleichen, stets elegant gekleideten und gepuderten Schreckensmann eine psychohistorische Studie gewidmet, die an seiner Person vor allem ein Zentralproblem herauszuarbeiten strebt: seine Einsamkeit. Wiewohl er Versammlungen durch seine Reden zu entflammen vermochte, wiewohl die Revolution, der er zeitweise vorstand, als eine der Volksmassen gilt, fehlte dem strengen jungen Mann aus der Provinz jeder Kontakt zu seiner Mitwelt. Robespierre verbrachte sein Leben vorzüglich in Gesellschaft seiner Ideale – eine spezielle Form von Isolationshaft.
Max Gallo erzählt die Geschichte einleuchtend. Die Kindheit in der Provinz, in einer alteingesessenen Juristenfamilie. Der Vater, von rätselhafter Wanderlust getrieben, verschwindet, und der Jüngling muss das Familienoberhaupt geben. Auch er wird Jurist und erzielt hübsche Erfolge. Er geht nach Paris, wo nun einmal jede französische Karriere ihren Höhepunkt hat, und findet sich wieder als immer stärkere Bedeutung erlangender Akteur in der Bewegung, welche wir die Französische Revolution nennen und die unsere Vorstellungen von Freiheit und Gleichheit und Demokratie gründlich geprägt hat. Obwohl sie gleichzeitig ein entsetzlich sinnloses Blutbad war, das alle folgenden Revolutionen mit dem Konzept beschenkt hat, ohne Terror gehe nun einmal nichts – dass der Zusammenbruch des Sowjetblocks keine Massenmorde zeitigte, gilt immer noch als Wunder.
Robespierre war, nach Max Gallo, kein besonders scharfer Agitator mit besonders radikalen Parolen. Sein Aufstieg, über den Jakobinerklub in den Wohlfahrtsausschuss, verdankte sich immer wieder intelligentem Zögern und Zuwarten; keineswegs schwamm der kühle und distanzierte Mann auf einer Volkswelle. Max Gallo macht plausibel, dass Robespierre asexuell war. Zwar findet er so etwas wie ein warmes Nest bei der Familie Duplay – doch genießt er dort vor allem Heiligenverehrung, wie es seiner Einsamkeit und Distanz ziemt.
Ein wenig leidet der deutsche Leser von Max Gallos Buch darunter, dass ihm die Chronologie der Revolution, wie der Autor sie sukzessive abarbeitet, nicht als fixes Schulwissen zu Verfügung steht. Wann genau und warum der König geköpft wurde; wie und wann das revolutionäre Frankreich sich gegen die Armeen der europäischen Fürstenhäuser wehren musste; was genau die Differenzen zwischen den großen drei der Revolution, Danton, Robespierre und Marat, ausmachte – der deutsche Leser muss es manchmal nachschlagen. Oder auf sich beruhen lassen.
Dafür gewinnt er ein deutliches Bild der politischen Rhetorik einer Revolution: Robespierre denunzierte Lügner und Verräter, pries die eigene Wahrheits- und Vaterlandsliebe bis in den Tod, eine Rhetorik, die ihm den Beinamen des Unbestechlichen verdiente. Es war die Zeit vor dem Meinungspluralismus, der Klassifizierungen wie Lügner und Verräter erst einmal ausschließt: So nennt heute niemand den Gegner, der – beispielsweise – Bundeswehreinsätze in Afghanistan ablehnt. Und die Meinungskundgabe hat keine Folgen für Leib und Leben.
Wer in diesem Buch bis zu dem gründlichen Nachwort von Daniel Schönpflug und Peter Schöttler gelangt ist, lernt zu seiner Verblüffung, dass Max Gallo seinen Robespierre bereits 1968 veröffentlicht hat. Das merkt man dem Buch nicht an; es hat seine Frische gut bewahrt. Schönpflug und Schöttler erzählen, welchen Wandlungen das Bild Robespierres, der mit 36 Jahren seinem eigenen Säuberungsmechanismus zum Opfer fiel, im Lauf der Geschichte unterworfen war. Die Verteufelung nach seinem Tod; die Anerkennung, ja Verhimmelung unterm Sozialismus, die bis in die Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts reichte – unter der Voraussetzung, dass der real existierende Sozialismus ein großer Erfolg der Menschheit sei.
Wer radikal das Gute will, darf vor Terror und Blutvergießen nicht zurückschrecken – bloß errichtet man damit einen derart hohen Standard der Erfolgskontrolle, dass jedes Scheitern um so drastischer ausfällt. Die Gestalt Robespierres, des unbestechlichen Massenmörders, umgibt eine kalte Aura von Unnahbarkeit, die man mit Max Gallo gern durchbricht. Robespierres Grabstätte ist unbekannt; keine Straße, kein Platz in Paris trägt seinen Namen.
MICHAEL RUTSCHKY
Max Gallo: „Robespierre“. Aus dem Französischen von Pierre Bertaux und Bernd Witte. Nachwort von Daniel Schönpflug und Peter Schöttler. 288 Seiten, Klett-Cotta, Stuttgart 2007, 26 Euro