Bretter, die die Welt bedeuteten

INTENDANTENRUNDE debattiert im Foyer des Theaters am Goetheplatz über die gesellschaftliche Irrelevanz der dramatischen Kunst und die mühselige Arbeit, damit nicht allein zu bleiben

Theater ist langweilig? „Seht den wahnwitzigen Reichtum an Formen!“ (Joachim Lux)

Seismograf, Spiegel, gar Prophet gesellschaftlicher Problemlagen und kreative Eingreiftruppe als Speerspitze praktischer Politik ist das Gute-alte Stadttheater heute – oder wirkt es gar nicht mehr in die Gesellschaft hinein, weil sich kaum einer in den Darbietungen wiederfindet und in immer größerer Zahl der Besuch verweigert wird? In diesem Thesenspannungsfeld der Podiumsdiskussion „Theater – Kunst – Gesellschaft“ versuchten gestern die Intendanten Michael Börgerding (Theater Bremen), Joachim Lux (Thalia Theater Hamburg) und Franziska Werner (Sophiensaele Berlin) hübsch grundsätzlich die Legitimation ihres Schaffens zu verorten.

„Alles Unsinn“, sagt Lux, einstmals auch als Dramaturg in Bremen tätig. „Theater war nie der Zeit voraus, setzt sich immer mit der jüngsten Vergangenheit sowie der Gegenwart auseinander und muss überhaupt nicht politisch sein oder sich für irgendetwas anderes instrumentalisieren lassen.“ Der einzige Sinn und Zweck sei die künstlerische Arbeit. Mit solch immer leicht zu beklatschendem Pragmatismus, dabei stets charmant, witzig und nie um eine Theateranekdote verlegen, präsentiert sich Lux als idealer PR-Mann seiner Zunft. Der Bremer Kollege ist weniger wirkungsbedacht in seiner nachdenklichen Intellektualität - und widerspricht. „Das Theater hat durchaus eine Funktion als sozialer Ort, muss für die Stadtgesellschaft wirksam sein.“ Als Auslöser und Partner zur Selbstreflexion. „Dem Besucher vergegenwärtigen, was er vielleicht nicht begreifen kann.“

Werner saß als Vertreterin der so genannten freien Szene ratlos zwischen den Herren: Das Publikum ströme in ihr Haus, wähle die Produktionen gerade wegen der sehr politischen Themenstellungen aus und die Resonanz sei nicht nur in den Medien groß. Kein Krisenszenario, nirgends? „Es gibt auch keine Stadttheaterkrise“, behauptet Lux, „sondern nur eine Finanzkrise der Kommunalpolitik.“ Und so geht es weiter mit steiler These und lässiger Antithese.

Die Neuinterpretation klassischer Stücke sei aktuell der Publikumsrenner – in Ermangelung der schriftstellerischen Kraft von heute? „Unsere zunehmende komplexer werdende Realität in ein Stück zu bauen, das kann keiner“, meint Börgerding. Diese Vorstellung entspreche nur der Sehnsucht nach einfachen Lösungen. Auch Lux meint, mit der Literatur als zentralem Referenzraum sei das Theater ans Ende gekommen, Regisseure seien heutzutage wichtiger als Autoren. Es gebe keinen Konsensdramatiker mehr wie Botho Strauß. Er wurde in den 1970er/80er-Jahre so geliebt, da ihm auszudrücken gelang, „wie desaströs die Paarbeziehungen des Publikums sind“, so Lux.

Das Publikum läuft weg? Groß ist die Diskrepanz zwischen der jetzt 20- bis 30-jährigen Theatermachergeneration und einer Zuschauermehrheit, der die heute 30- bis 40-Jährigen fehlen. Sie wurden in einer Zeit aus dem Theater sozialisiert, als bundesweit die Haltung der Bremer Ära des Regietheaterfinders Kurt Hübner praktiziert wurde, die Börgerding so beschreibt: „Wir auf der Bühne haben Recht und ihr da unten seid scheiße.“  FIS