LESERINNENBRIEFE
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Das mitreißende Thema fehlt

■ betr.: „Der weite Weg zur sechsten Kraft“, taz vom 5. 12. 11

Die „Piraten“ haben in Berlin einen schönen Anfangserfolg erzielt. Sie sprechen das junge, gutbürgerlich-gebildete Publikum an, das ideologisch und strukturell weniger gebunden ist. Basisdemokratische Prozeduren sind zwar einerseits begrüßenswert, doch liegt hier auch das Problem. Ich will wissen, wofür die Partei steht, die ich wählen soll.

Es besteht die Gefahr der Wankelmütigkeit, des Populismus. Man unterschätze nicht die Nestwärme, das Heimatgefühl, die feste Parteistrukturen vermitteln. Auch fehlt den „Piraten“ das mitreißende Thema. Umweltschutz und soziale Grundsicherung sind auch Forderungen der Grünen, von bürgerlicher Freiheit reden die Liberalen. Zum Schutzpatron der Schwachen schwingt sich gern die Linke auf. Ich rate den anderen Parteien, ihr Profil zu schärfen und sich vor allem um eine gute Basisarbeit zu kümmern, die Sorgen der Menschen ernster zu nehmen, vor Ort mühsame, aber langfristig lohnende Überzeugungsarbeit zu leisten. CHRISTIAN FUCHS, Gutenstetten

Sócrates hat mehr verdient

■ betr.: „Sócrates ist tot“, taz vom 5. 12. 11

Sócrates hat etwas mehr verdient als eine kurze Todesnachricht mit einem wenig vorteilhaften Foto. Er hat als Demokrat unter der Militärdiktatur das „jogo bonito“ geprägt, welches mit seiner Spielfreude etwas zum Ausdruck brachte, was die Diktatur unterdrücken wollte: Lebensfreude. Bei den Corinthians führten Sócrates und Co. eine Spielerdemokratie – „Democracia Corintiana“ – ein. Das wäre doch allemal einen Hintergrundartikel wert, oder?

DIRK EHNS, Oldenburg

„Bauchgefühl“ stärken

■ betr.: „Schwanger, nicht krank“, sonntaz vom 4. 12. 11

Wir, das Familiengesundheitszentrum in Frankfurt, freuen uns sehr darüber, dass Ina May Gaskin mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wird. Auch für werdende Mütter heute ist ihre Kritik an der Apparatemedizin und an der Technisierung des Geburtsvorganges ein aktuelles Thema, der Wunsch nach Selbstbestimmung und einer möglichst natürlichen Geburt ist nach wie vor groß.

Ina May Gaskin war für uns Frauen in Deutschland, die wir aus der Frauenbewegung kamen und Mütter wurden, ein wichtiges Vorbild. Schon 1975 hörten wir von der Hausgeburtsbewegung in den USA und dem Kampf für eine menschlichere Geburtshilfe. In Frankfurt gründete sich eine Schwangeren- und Müttergruppe, aus deren Mitte später die Angebote für Schwangere im Frauengesundheitszentrum (heute Familiengesundheitszentrum) entwickelt wurden.

Heute sind die Bemühungen um eine frauen- und familienfreundliche Geburtshilfe jedoch wieder gefährdet. Schwangerschaft und Geburt werden zunehmend als Risiko gesehen, das mit Hilfe medizinischer Interventionen minimiert werden soll: 70 Prozent der werdenden Mütter in Deutschland werden als „risikoschwanger“ eingestuft, zudem verunsichern die Untersuchungen zur Pränataldiagnostik viele Frauen. Sie sind nicht „guter Hoffnung“, sondern voller Befürchtungen, was die Fähigkeit, zu gebären, beeinträchtigt.

Die Geburtshilfe ist hoch technisiert. Beispielsweise liegt die Kaiserschnittrate mit über 30 Prozent doppelt so hoch wie aus medizinischer Sicht eigentlich notwendig. Nach wie vor leisten Geburtsvorbereiterinnen, die sich im Bereich der pädagogischen Geburtsvorbereitung engagieren und Schwangere in ihrem „Bauchgefühl“ bestärken, hier einen wichtigen Beitrag. Umso erfreulicher und wichtiger ist es, dass diese bedeutende Wegbereiterin der natürlichen Geburt geehrt wird. THEA VOGEL, Vorstandsfrau FamilienGesundheitsZentrum, Frankfurt am Main

Zynischer Politikbetrieb

■ betr.: „Ein Ausgegrenzter wird gefeiert“, taz.de vom 5. 12. 11

Sehr schöner Artikel, beim Inhalt stößt einem der Zynismus des Politikbetriebs mit seinen Schnittchen-Charity-Veranstaltungen bitter auf. Es macht einen abwechselnd rasend und resigniert, wie Menschen systematisch ihrer Rechte auf ein menschenwürdiges Leben in Deutschland beraubt werden, um dann für solch lächerliches Politikbetriebtheater missbraucht zu werden.

Trotzdem herzlichen Glückwunsch an Salomon Wantchoucou, nicht für den Preis, sondern für seinen Mut und sein Engagement. Der Kampf geht weiter, auch und vor allem gegen diese Kaffee-und-Kuchen-Gutmenschen. FLUJO, taz.de