Die netten Opas bekommen Besuch

In Italien sind Max Josef M. aus Bremen und Gerhard S. aus Hamburg wegen Kriegsverbrechen von einem Militärgericht verurteilt worden. Am Samstag zog die Antifa vor ihre Häuser und forderte ein „Ende des Täterschutzes“. Doch M. wehrt sich

Gerhard S. war Untersturmführer der 16. SS-Division „Reichsführer SS“. Er wurde 2005 zusammen mit neun weiteren Angeklagten von dem italienischen Militärgericht La Spezia des „fortgesetzten Mordes mit besonderer Grausamkeit“ schuldig gesprochen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass S. an der Tötung von 560 Einwohnern des Bergdorfes Sant’Anna di Stazzema am 12. August 1944 beteiligt war. Ein Revisionsantrag wurde abgelehnt. Der 86-Jährige lebt heute in einer Seniorenresidenz in Hamburg. Er behauptet bis heute, bei dem Massaker nicht dabei gewesen zu sein. taz

VON CHRISTIAN JAKOB
UND ANDREAS SPEIT

Antifaschistische Gruppen sind am Samstag in Bremen und Hamburg vor die Wohnsitze eines ehemaligen Wehrmachts- und eines ehemaligen SS-Angehörigen gezogen, die im Ausland wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden sind. „Die Mörder von einst sind bis heute unbehelligt geblieben und gelten in Deutschland als die ‚netten Opas von nebenan‘“, heißt es in einem Aufruf der Kampagne „Keine Ruhe für NS-Kriegsverbrecher“.

Nur wenige Schritte von der Weser entfernt, im Bremer Steintorviertel, kamen rund 100 Demonstranten vor dem Haus des pensionierten Polizisten Max Josef M. zusammen. Eine Sprecherin verlas eine Erklärung „an die Nachbarn“: „Max M. wurde vor einem Jahr in Italien in Abwesenheit wegen Mordes an 59 Menschen verurteilt. Hier in diesem Haus aber ist er anwesend.“ Dem 85-jährigen ehemaligen Wehrmachtsangehörigen wird die Beteiligung an einem Massaker im Jahr 1944 in der Toskana vorgeworfen. Während eine Radfahrerin den Antifas den ausgestreckten Mittelfinger zeigt, kommen andere näher. Unter die Scheibenwischer geparkter Autos werden Flugblätter mit der Aufschrift „Schluss mit dem Schutz für NS-Täter“ geklemmt. Die Polizei greift nicht ein.

Seit Monaten hatten Bremer Antifas zur Vorbereitung der Aktion die Akten des Falles M. gesichtet und dabei vergeblich versucht, an die italienischen Prozessakten zu gelangen. Ein Versuch, mit M. ins Gespräch zu kommen, scheiterte. Fest steht: Am Morgen des 29. Juni 1944 stürmten Soldaten der Fallschirm-Panzer-Division 1 „Hermann Göring“ das Dorf Civitella. Die Bauernhäuser wurden angezündet, ihre Bewohner auf dem Kirchplatz zusammengetrieben. Insgesamt 207 Männer, Frauen und Kinder ermordete die Wehrmachtseinheit, der M. angehörte. Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt deswegen seit 2002 gegen M., im vergangenen Jahr ließ sie seine Wohnung durchsuchen.

Am Abend äußerten sich M. und seine Frau in einem Fernsehinterview erstmals öffentlich zu den Vorwürfen. M. beteuerte, „keinen einzigen Menschen erschossen zu haben“. Eine Teilnehmerin des Arbeitskreises „Keine Ruhe“ meint dazu: „M. ist 2006 verurteilt worden. Sollte er tatsächlich unschuldig sein, wäre es spätestens dann an der Zeit gewesen, sich öffentlich dazu zu verhalten.“ Auf jeden Fall sei er vor Ort gewesen. Dass er, wie er behauptet, als Kommandant einer Untereinheit der Feldgendarmerie eine einzelne Gefangene bewacht habe, während seine Kameraden ein Massaker veranstalteten, halte sie für „unwahrscheinlich“.

In Hamburg demonstrierten rund 30 AntifaschistInnen in der Nähe des Seniorenwohnheims, in dem der ehemalige SS-Untersturmführer Gerhard S. lebt. Auch hier wurden in der Nachbarschaft Flugblätter verteilt. Während ein älterer Herr die Ansicht vertrat, man müsse „das auch mal ruhen lassen“, sagt eine Passantin: „Schön, das ihr das macht.“

Knapp zwei Monate nach dem Massaker in Civitella fiel die 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“, deren 4. Kompanie S. anführte, in Sant’Anna di Stazzema ein. Binnen vier Stunden hatte die SS 440 Männer und Frauen sowie 120 Kinder erschlagen, erschossen oder verbrannt. „Da hat’s geheißen: ‚Umlegen, den ganzen Verein!‘“, berichtete ein Beteiligter 2002 einem ARD-Reporter. „Das ist wie bei der Treibjagd.“ Der Staatsanwalt von La Spezia, Marco nennt Sant’Anna „eines der schlimmsten Massaker an Zivilisten in Italien“.

Der in Bremen lebende ehemalige Unteroffizier der Wehrmachts-Division „Hermann Göring“ Max Josef M. wurde 2006 in Abwesenheit von dem italienischen Militärgericht in La Spezia zu lebenslanger Haft verurteilt. M. soll unmittelbar an der Ermordung von 59 Zivilisten in dem toskanischen Dorf Cornia beteiligt gewesen sein. Am 29. Juni 1944 tötete die Wehrmacht in den Dörfern Civitella, Cornia und San Pancrazio insgesamt 207 Zivilisten durch Genickschüsse. Die Aktion war eine Vergeltung für einen tödlichen Partisanenanschlag auf drei Wehrmachtssoldaten etwa zwei Wochen zuvor. taz

S. selbst beteuert bis heute seine Unschuld sagt, er habe ein „absolut reines Gewissen“. Die Meinungen seiner Mitbewohner über ihn gehen auseinander. „Manche gehen mit ihm ganz normal um, andere meiden ihn“, sagt der Leiter der Anlage.

Auch die juristischen Ermittlungen gegen S. treten auf der Stelle. „Kein neuer Stand“, sagt eine Sprecherin der für den „Komplex St’Anna“ zuständigen Staatsanwaltschaft Stuttgart. Seit 2002 ermittelt sie gegen 15 Personen. „Wir müssen dem einzelnen die Tatmerkmale Mord nachweisen – objektiv und subjektiv“. Erst wenn eine Verurteilung möglich erscheine, werde Anklage erhoben.

Enio Mancini vom „Verein der Opfer von St’Anna“ weist die Behauptung, eine konkrete Tatbeteiligung von S. sei nicht nachweisbar, zurück. Das habe sich während des italienischen Gerichtsverfahrens herausgestellt. Gegenüber den Alliierten hatten Angehörige seiner Kompanie bezeugt, S. habe den Schießbefehl erteilt. Die italienische Justiz hat einen Antrag auf Auslieferung gestellt. Doch die ist nach deutschen Recht nur mit Einwilligung des Betroffenen möglich.