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Archiv-Artikel

„Alte zählen gar nicht“

Das heutige Fernsehen hat den Kontakt zur Realität verloren und kommt daher prima ohne ältere SchauspielerInnen aus, sagt Ulrike Bliefert, 56. Nur die „werberelevante“ Gruppe bis 49 interessiert

INTERVIEW SARAH STRICKER

taz: Frau Bliefert, Sie sind gerade 56 Jahre alt geworden. Aber Sie werden von einer Agentur für Menschen über 60 vertreten. Warum?

Ulrike Bliefert: Weil ich seit 1972 als Schauspielerin arbeite und keine Lust mehr habe, unter 25 sogenannten Young Talents die Beigabe zu sein, nach dem Motto, wir haben da auch noch eine Alte.

Sie sind selbst auf die „Agentur 60 plus“ zugegangen. Was hat Ihnen an dem Konzept gefallen?

Vor ein paar Jahren wollte ich selbst mit einem Freund eine Agentur für ältere Frauen gründen. Aber dann hatte er so die Schnauze voll von diesem Gewerbe, dass er alles verkauft hat und jetzt um die Welt segelt.

Haben Sie auch schon mal die Schnauze voll gehabt?

Ich habe neulich im Wartezimmer in einer Zeitschrift gelesen, es sei vorbildlich, wie Gwyneth Paltrow mit dem Alter umgehe. Die ist 35. Das sagt doch alles.

Werden ältere Menschen in den Medien diskriminiert?

Alte werden nicht diskriminiert, sondern ignoriert. Wenn jemand etwas gegen Ausländer hat, hängt das mit einem negativen Bild zusammen, über das er sich aufregt. Über Alte regt man sich nicht auf. Die zählen gar nicht.

War es in Ihrer eigenen Jugend leichter für Ältere?

In den 50er- und 60er-Jahren wurden viele Familiengeschichten erzählt, mit Eltern und Großeltern. Es war einfach eine realistischere Schilderung der Realität. Und: Ohne Schauspielschule wäre man nie besetzt worden. Heute hat sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen dem Unterhaltungsfaktor angepasst. Die Sendezeit ist vollgepackt mit Pseudodokus, Soaps, Gerichtssendungen, alles Programme, die dezidiert keine realistische Welt zeigen. Früher gab es viel mehr sozialkritische Stoffe.

Ist „sozialkritisch“ gleichzusetzen mit Alter?

Nein, aber wenn ich keinen Bezug zur Realität habe, ist die Welt eben nur von Jungen bevölkert. Weil sie schön sind. Und weil sie Zielgruppenprobleme haben. Nur die „werberelevante“ Gruppe der 14- bis 49-Jährigen zählt. Laut Marktforschung bin ich seit sieben Jahren nicht mehr in der Lage, kritisch zu konsumieren.

Glauben Sie, dass die Sender mit mehr älteren Darstellern auch gute Quoten bekämen?

Ich will gar nicht besonders viel Alte, sondern ein realistisches Maß. Aber man tut so, als würde die Welt aus 14-Jährigen bestehen. Das ist auch deshalb problematisch, weil Fernsehen immer in Wechselwirkung mit der Realität steht. Ich habe das Gefühl, dass der gesellschaftliche Nutzen von Frauen, die weder gebärfähig sind noch eine Erektion hervorrufen, verloren gegangen ist. Früher gab es Rollen als Mütter, Schlosserinnen, Anwältinnen. Heute sieht man fast nur noch Kommissarinnen.

Warum aber gerade Kommissarinnen?

Weil das ein männlicher Beruf ist.

Also heißt „alt gleich männlich“, weil nicht mehr weiblich?

Ja, genau.

Wann haben Sie erstmals bemerkt, dass Alte im Filmbetrieb nicht mehr so gefragt sind?

Ich kann nicht behaupten, dass ich früher als jugendliches Sexobjekt verkauft wurde und plötzlich feststellen musste, dass mich keiner mehr engagiert. Dieser Typus: dumme, junge Erektionsverursacherin – das war kein Job, den es im deutschen Fernsehen gab. Aber wirklich gemerkt, dass etwas nicht stimmt, habe ich, als ich ein Drehbuch für die Serie „St. Angela“ geschrieben habe, in der eine ältere Frau die Hauptrolle spielen sollte. Das Manuskript wurde abgelehnt. Die Produzenten sagten, die Geschichte funktioniere nicht, weil sie für diese Rolle eine „richtige“ Schauspielerin besetzen müssten. Das wäre ihnen zu teuer. Da dachte ich mir, es wird also nicht alles nur mit Hasi und Mausi zwischen 16 und 26 besetzt, weil die so toll sind, sondern weil man billig Menschenmaterial einkaufen will.

Die Gesellschaft wird immer älter. Wieso gibt es keine Geschichten darüber?

Ich glaube, vielen fällt zu Älteren nichts ein. Und wenn, dann sind es Trotzdem-Geschichten, wie die, wo sich zwei verlieben – obwohl sie alt sind.

Wen sehen Sie lieber auf der Leinwand? Alte oder Junge?

Ich sehe am liebsten gute Filme.

Ulrike Bliefert ist Schauspielerin in Berlin. Sie spielte lange in der RTL-Sitcom „Das Amt“ an der Seite von Jürgen Busse. Zuletzt sah man sie in der ARD-Serie „Sophie – Braut wider Willen“ (unser Foto) oder dem Kinofilm „Ein Leben lang kurze Hosen tragen“.