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Archiv-Artikel

Präzise scheiternde Versuchsanordnung

THEATERINSTALLATION Für ihre Ein-Personen-Fassung von Thomas Bernhards Romandebüt „Frost“ haben Regisseurin Sabine Mitterecker und Schauspieler Andreas Patton letztes Jahr den Nestroy-Preis als beste Off-Produktion bekommen. Bis Samstag gastiert das Stück in den Hamburger Deichtorhallen

Den Wiener Kunstbetrieb verlassen und seine Bilder verbrannt hat der Kunstmaler Strauch und ist ins unwirtliche abgeschiedene Gebirgsdorf im Salzburger Land gezogen. Wohin daraufhin dessen Bruder, der Arzt, seinen jungen Famulanten schickt, den nun als krank und verrückt geltenden gescheiterten Künstler zu beobachten: Begegnungen und die zumeist aus Monologen bestehenden Gespräche mit dem Lebensmüden zu protokollieren, der dort inmitten der rückständig-brutalen, von der Gewalt des Krieges gezeichneten Dorfgemeinschaft als Außenseiter lebt, zugrunde geht an sich und der Welt, an der Finsternis und Kälte im Menschen und schließlich Selbstmord begeht.

Tatsächlicher Protagonist aber ist schon in Thomas Bernhards Debütroman „Frost“ von 1963 einzig die Sprache, die die immer unsicherer werdende Distanz zwischen Beobachter und Objekt ausmisst, präzise Worte für den scheiternden Versuch einer präzisen, naturwissenschaftlichen Versuchsanordnung sucht, die Krise des Künstlers als Krise der Kunst skizziert.

Keineswegs als zynischen Bericht vom Weltekel des Künstlers hat Bernhard selbst seinen Erstling dabei verstanden. Sondern sich gewundert, warum niemand „das im Grunde gelesen“ habe, „was für Späße darin sind“. Denn tatsächlich sei der Text trotz all des düsteren Frostes „eigentlich alle Augenblicke zum Hellauflachen“.

Genau so sieht es zum Glück auch der Schauspieler Andreas Patton, der zum 80. Geburtstag Bernhards drei Tage lang mit der letztes Jahr mit dem Nestroy-Preis für die beste Off-Produktion ausgezeichneten Ein-Personen-Theaterfassung von „Frost“ der Wiener Theater.Punkt-Regisseurin Sabine Mitterecker in den Hamburger Deichtorhallen gastiert. Das Besondere dabei: Patton spielt nicht nur mit Bravour alle Rollen, sondern tritt immer wieder mit dem Publikum in Interaktion.

Denn zu sehen ist das Stück bis Samstag inmitten der Ausstellung „Eyes on Paris“ im Haus der Photographie als temporäre Theaterinstallation: Eigens für die Deichtorhallen adaptiert hat Mitterecker ihre Bearbeitung, die sie vor zwei Jahren für die Räume des Wiener Kunstmuseums Mumok zusammengestellt hat und bietet damit nicht nur Raum für ein ungewöhnliches Theatererlebnis – die Zuschauer folgen dem Schauspieler bis in die entlegensten Winkel oder eben nicht und wählen ihre eigene Perspektive auf das Kunst-Drama –, sondern bezieht das Theater als Exponat unter Exponaten selbst in die Reflexion der Kunst-Krise und der Verortung des Künstlers in der Gesellschaft mit ein. ROBERT MATTHIES

■ Hamburg: Do, 8. 12. bis Sa, 10. 12, je 20 Uhr, Haus der Photographie in den Deichtorhallen, Deichtorstraße 1-2