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Archiv-Artikel

Was bleibt

OLYMPIA-ERFAHRUNGEN I Noch sind die Spiele in London nicht so lang her, dass man von einem „olympischen Vermächtnis“ für die Stadt sprechen kann. Manche tun es trotzdem – und sind voll des Lobes

„Man kann ein Vermächtnis genauso wenig erschaffen wie entscheiden, dass man cool sein will. Ein Vermächtnis wird von der Geschichte bestimmt, nicht von den gierigen kurz- fristigen Ambitionen von Politikern und Bürokraten“

STEPHEN BAYLEY, ARCHITEKTURKRITIKER

VON RALF SOTSCHECK

Was hat Olympia 2012 für London gebracht? Es kommt darauf an, wen man fragt. Die Regierung feiert die Spiele als vollen Erfolg. „Olympic Legacy“ heißt das Zauberwort, „olympisches Vermächtnis“, und dafür hat man sogar eine Körperschaft gegründet, die London Legacy Development Corporation.

Zum „Botschafter des olympischen Vermächtnisses“ wurde Sebastian Coe ernannt. Früher war er selbst Olympionike und Goldmedaillengewinner, heute sitzt er als Lord im Oberhaus. Er soll dafür sorgen, dass die Olympischen Spiele in London dauerhaft etwas bewirken, und zwar auf verschiedenen Ebenen. Dafür sucht man nach Investoren.

Einen ersten Plan für das olympische Vermächtnis gab es bereits 2007. Mit jedem neuen Plan wurde die Sache weniger ambitioniert. Wie sieht es knapp drei Jahre nach Olympia aus? Der wichtigste Punkt, der den Ausschlag für London und gegen Paris gegeben hatte, war das Versprechen der Erneuerung von Ost-London, das in puncto Einkommen, Lebenserwartung und Gesundheit weit hinter dem Landesdurchschnitt hinterherhinkt, aber bei der Arbeitslosigkeit recht weit vorn liegt.

20.000 olympische Arbeitsplätze hatte man den Anwohnern versprochen. Am Ende waren es 9.700. Dennoch hieß es im Juli 2013 in einem 70-seitigen Regierungsbericht, dass alles nach Plan verlaufe. „Wir haben die größten olympischen und paralympischen Spiele geliefert, die die Welt je gesehen hat“, jubelte Londons Bürgermeister Boris Johnson, der Premierminister David Cameron als Tory-Chef beerben will, falls der im Mai die Wahlen verliert. „Olympia hat den Fortschritt bei der urbanen Regeneration in Ost-London beschleunigt.“ Aber die Projekte, die mit Millionen aus dem Vermächtnis-Budget gefördert wurden und die Arbeitslosigkeit in den sechs olympischen Stadtbezirken bekämpfen sollten, bewirkten nichts. In Bethnal Green stieg die Langzeitarbeitslosigkeit 2012 um 26 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit um 55 Prozent.

Außerdem sollte Olympia die britische Jugend dazu animieren, mehr Sport zu treiben. Die Spiele würden eine „Inspiration für eine ganze Generation“ sein, hoffte die Regierung. Das hat sie jedoch von vornherein torpediert. Bildungsminister Michael Gove hatte gleich nach seinem Amtsantritt die von der Labour Party initiierten „School Sports Partnerships“ eingemottet. Die hatten bestimmte Schulen als Knotenpunkte vorgesehen, die sportliche Aktivitäten an sämtlichen Grundschulen in ihrer Umgebung koordinierten und Clubs in verschiedenen Sportarten nach der Schule organisierten. Gove strich die 168 Millionen für die Projekte und schaffte auch gleich die zwei Pflichtstunden Sportunterricht pro Woche ab. Ein Schuldirektor in Tower Hamlets in Ost-London bezeichnete diese Politik als „Vandalismus“.

Dennoch meinen zwei Drittel der Briten, die 8,77 Milliarden Pfund für Olympia – ursprünglich waren 2,4 Milliarden veranschlagt – seien eine gute Investition gewesen. Die Regierung findet das auch. 9,9 Milliarden Pfund seien aufgrund der Spiele durch neue Geschäftsabschlüsse für britische Firmen an Land gezogen worden, vor allem bei anderen Großereignissen im Ausland, zum Beispiel bei Olympia 2016 in Rio de Janeiro. Aber wie will man das messen? Welche Aufträge wären auch ohne die Londoner Spiele an diese Firmen vergeben worden? Es sei ein bisschen wie kreative Buchführung, meint der Experte für Sportwirtschaft, Stefan Szymanski: „Niemand kann überprüfen, ob es stimmt, was sie sagen.“

Wenigstens bei den Sportstätten kann man Erfolge vorweisen. Das Olympiastadion ist einer der Austragungsorte für die Rugby-Weltmeisterschaften im September und Oktober, danach wird es an den Fußballverein West Ham United vermietet. Das Schwimmstadion ist der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt worden, im Medienzentrum entstehen Büros mit insgesamt 100.000 Quadratmetern, und ein paar Mieter wie die British Telecom hat man auch bereits. Aus dem olympischen Dorf sind Wohnblöcke geworden, der Olympische Park heißt jetzt Queen Elizabeth Olympic Park und ist öffentlich. Das ist mehr, als andere Olympiastädte vorweisen können.

Ein abschließendes Urteil kann man wohl erst in zehn Jahren fällen. „Man kann ein Vermächtnis genauso wenig erschaffen wie entscheiden, dass man cool sein will“, sagt Stephen Bayley, ein Londoner Architekturkritiker. „Ein Vermächtnis wird von der Geschichte bestimmt, nicht von den gierigen kurzfristigen Ambitionen von Politikern und Bürokraten.“