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Archiv-Artikel

Mord in Hamburgs Tunneln

ZEITGESCHICHTE Boris Meyns Roman „Totenwall“ illustriert plastisch die Untertunnelung Hamburgs im frühen 20. Jahrhundert – inklusive ELbtunnel-Bau. Ein schlau gedrechselter Krimi ist es aber trotz mehrerer Leichen nicht

VON PETRA SCHELLEN

Hamburg im Tunnelwahn: Diesem Thema ist derzeit nicht nur eine Ausstellung im dortigen Museum der Arbeit gewidmet. Auch Boris Meyn, langjähriger Verfasser historischer Hamburg-Krimis – unter anderem der „Roten Stadt“ und des „Toten im Fleet“ – hat die Jahre, in denen Elbtunnel und Ringbahn gebaut und die Mönckebergstraße als Prachtmeile angelegt wurde, zur Folie seines neuen Krimis gemacht.

Der Band heißt „Totenwall“ und spielt um 1910. Die Stadt ist fast komplett aufgebuddelt, und ein Bankier ist neben seinem unterirdischen Tresor ermordet worden. Im allgemeinen Untertunnelungs-Chaos hat‘s niemand bemerkt. Außerdem tauchen an verschienen Stellen der Tunnel-Grabungen Frauenleichen auf, die mit dem Mord am Bänker nichts zu tun zu haben scheinen.

Und dann gibt es noch ein Nudisten-Camp, das mit all dem gleichfalls zunächst nichts gemein zu haben scheint. Ein solches gab es damals wirklich, und das Befremden des Protagonisten, des aus den vorigen Romanen bekannten Rechtsanwalts Sören Bischop, spiegelt wohl die Empfindungen weiter Teile der damaligen Bevölkerung.

Jener Bischop, wie immer in die Recherche involviert, weilt dort gelegentlich, allerdings eher unfreiwillig: Ohne seine Frau wäre er dort nicht hingegangen. Denn er ist um die 60 und fühlt sich langsam alt. Leider verbreitet er sich als Hauptprotagonist recht ausführlich über die zugehörigen Beschwerden und überhaupt über sein Privatleben und das Haus am Stadtrand, in das er demnächst ziehen will. Diese Passagen tragen zur Handlung wenig bei, sind auch nicht im entferntesten so spannend wie die Geschehnisse um den Bau der Speicherstadt, die in „Die Rote Stadt“ aufscheinen.

Und abgesehen davon, dass die Recherche aufgrund all dieser Reflexionen recht schleppend wird, hat sich Boris Meyn diesmal besonders stark im Detail verloren. Architektonische Finessen und deren Beschreibung sind zwar stets Bestandteil und Markenzeichen seiner Bücher und für Kunsthistoriker stets ein ästhetisches Vergnügen.

Diesmal allerdings scheint sich Meyn den Tunnelbauern und -ingenieuren übermäßig verpflichtet gefühlt zu haben: Derart ausführlich hat er noch nie über statische und bautechnische Details berichtet, so historisch korrekt und vollständig nie Senatoren und Bauräte aufgezählt, ohne dass der Plot davon profitierte.

In anderen Worten: Ein historisches Buch für Tiefbau-Freaks ist dies zweifellos. Ein Krimi mit intelligentem Plot, fein ziselierter Recherche und einem überzeugenden Spannungsbogen ist es aber nicht. Eher ein zeitgeschichtliches Dokument mit pflichtschulidgst eingestreutem Kriminalfall.

Dass der Autor im Nachwort betont, die Spekulationen mit Grundstücken über der künftigen Ringbahn, die der ermordete Bankier tätigte, ähnelten denen in der Hafencity, macht diese Defizite leider auch nicht wett.

Boris Meyn: Totenwall. Reinbek 2011, 255 S., 8,99 Euro