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Archiv-Artikel

Weltbeste Küche

TAIWAN Glibbrige Seegurken, Stinky Tofu , Giftschlangen, Sargbrot und Schweineblutpudding – ein Streifzug durch Taipehs verführerische Nachtmärkte

Der Nachtmarkt von Shilin

■ Taiwans Küche: Essen ist Kunst, sagen die Taiwaner. Die taiwanische Cuisine vereint sämtliche chinesische Strömungen und hat starke japanische, ferner auch mongolische, koreanische, vietnamesische Einflüsse. Heimische, teils skurrile Kreationen wie Stinky Tofu ergänzen diese Vielfalt.

■ Nachtmärkte: Shilin Night Market, Shilin District, Taipei, zwischen Wenlin Road, Jihe Rd. und Zhongshan N. Rd., ca. 540 Essensstände und Non-Food-Verkaufsstände. Täglich ab 16 bis ca. 2 Uhr, Hauptbetrieb von 20 bis 23 Uhr. Dazu diverse Karaoke-Bars und Geschäfte, in denen man günstig von der Zahnbürste über Dildos bis zum schicken Designeranzug alles kaufen kann.

■ Din-Fu Hung’s Schlangenrestaurant: „Asia Snake Graduate“ liegt in der „Snake Alley“ im Hua Xi Nachtmarkt von Taipei, Nr. 49, Huashi Street, Tel.: +886 (02) 23 08-48 74.

VON MARC VORSATZ

Wenn Din-Fu Hung (62) einen Drink mixt, dann bleiben die Passanten in der Snake Alley stehen. Nicht, weil der Typ vom Huaxi-Touristennachtmarkt so aussieht wie die chinesische Ausgabe von Tommy Lee Jones. Auch nicht, weil ihm ein paar Finger fehlen, was ja eigentlich eher ungewöhnlich ist für einen Barkeeper in der Millionenmetropole Taipeh oder anderswo. Sondern weil dieser Mann organische Special Cocktails mixt wie kein Zweiter in ganz Taiwan, und das obendrein werbewirksam per Mikrofon kommentiert. Als Erstes greift Din-Fu beherzt in einen engmaschigen Stahlkorb und zaubert eine dunkelbraun-gefleckte Schlange ans Licht. Gut einen Meter ist diese asiatische Bumbusotter lang, und es gibt kein Entrinnen: Der Schlangenmann hält sie mit eiserner Hand. Dann fuchtelt er mit dem züngelnden Reptil knapp vor unseren Gesichtern herum. Auge in Auge.

Längst hat das Publikum eine Mischung aus Neugier und Schauder ergriffen. Besonders die Kinder schauen wie gebannt. Dann geht alles sehr schnell, einem Peitschenhieb gleich schleudert Din-Fu die Giftotter kopfüber auf den Boden. Ein Raunen geht durch die Menge, Mitleid ist nicht dabei. Das Verhältnis Mensch und Nutztier, Fressen und Gefressenwerden, ist in Taiwan klar definiert. Im nächsten Augenblick hängt der Kopf der Schlange in einer Schlinge, und Din-Fu macht sich mit einer kleinen Schere vorsichtig über ihre Eingeweide her, durchtrennt die Bauchschlagader und lässt sie stilvoll in eine gläserne Karaffe ausbluten.

Nun folgt das Beste, der grüne Gallensaft. Sieht aus wie Waldmeisterbrause, schmeckt vermutlich etwas herber. Ob ich denn nicht probieren wolle, mit Wasser gestreckt vielleicht? Beide Essenzen seien äußerst gesund und seit Menschengedenken fester Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin. Nein, ich möchte nicht, so viel Naturalismus ist mir einfach eine Spur zu viel. Doch lieber das Fleisch? Gegrillt, gebraten oder gekocht in einer klaren Brühe? Später gern, ja. Ich gebe vor, verabredet zu sein. Dann erwarte er mich später.

Mir steht der Sinn nach gewöhnlicherer Kost. Nirgends in Taipeh soll die Auswahl größer sein als auf dem Shilin Night Market. „Das Essen ist der Himmel des Lebens“, sagt ein altes chinesisches Sprichwort. Dann muss Shilin mitten im Himmel liegen. Hier wird die Nacht zum Tag, Hunderte Garküchen wetteifern um die Gunst von Abertausenden verwöhnten Gaumen. Allein die Auswahl an Nudelgerichten überfordert mich. Vegetarisch oder doch mit Fisch? Aber welcher? Barrakuda, Milchfisch, Blauer Marlin, Tuna, Gefleckter Zackenbarsch, Talipia-Buntbarsch, Flussbarsch, Karpfen, gegrillte Sepien oder doch lieber mit Krabben? Herzhaft gewürzter Rogen der Meeräsche? Oder feinstes Sashimi von fangfrischem Schwertfisch? Oder etwas Veganes aus dem Wasser? Frischer Seegrassalat klingt interessant. Oder eine Algensuppe?

Ich nehme einen glitschigen Seegurkensalat. Der ist überraschenderweise viel bissfester als erwartet, schmeckt dafür aber sehr gesund, sprich geschmacksneutral. Danach ein bisschen Seetangsuppe, schon besser. Als nächsten Gang bestelle ich Sargbrot und bekomme Bohnenkraut und Curryhuhn in ausgehöhltem Teig in Sargform.

Obwohl schon halbwegs satt, möchte ich unbedingt ein sehr beliebtes und überaus preiswertes Alltagsgericht probieren: Omelette mit Austern und Kohl. Die Schalentiere werden bis zu ihrer Zubereitung lebend in Aquarien gehalten, genau wie kleinere Fische oder Krabben. Generell gilt, wenn irgend möglich, werden Tiere erst direkt vor dem Verzehr getötet. Man muss schon ein richtiger Naturbursche oder waschechter Asiat sein, um die halbwegs flüssigen Austern zwischen den Eiern zu mögen. Das Gleiche gilt für das Nationalgericht Chou Doufu, besser als Stinky Tofu bekannt. Harzer Roller ist nix dagegen. Die fermentierte Bohnenpaste stinkt bestialisch – schmeckt hingegen überraschend gut. Kurz bevor ich platze, probiere ich noch schnell den populären Schweineblutpudding am Stiel. Ziemlich markant. Ach nein, dann doch lieber Klebereisbällchen mit süßer Bohnenpaste. Sind die lecker! Zu guter Letzt gönne ich mir noch einen Oolong-Tee. Ein Hochgenuss, ein Gedicht! Erst jetzt verstehe ich, warum die edelsten Oolongs aus dem Hochland von Alishan mehrere tausend Euro das Kilo kosten.

Din-Fu, der Schlangenmann, begrüßt mich herzlich, als ich zurückkomme. Er habe mir schon ein klares Süppchen mit Bambusotter beiseitegestellt. Zwei Seelen kämpfen ach in meiner Brust: Neugier und Ekel. Dabei sehen die gehäuteten weißen Fleischstückchen mit etwas Fantasie sogar appetitlich aus.

„Die Jungen essen keine Schlangen. Das gilt als altmodisch“

SCHLANGENMANN DIN-FU HUNG

Seit 1968 betreibt Din-Fue seine „Forschungsstelle für Asiatische Schlangen“. So heißt sein Spezialitätenrestaurant ins Deutsche übersetzt. Doch die Zeiten stehen schlecht. In der gesamten Snake Alley haben nur zwei Schlangenrestaurants überlebt. „Die jungen Leute von heute möchten keine Schlangen mehr essen“, resümiert Din-Fu, „das gilt als altmodisch. Früher war Schlange ein weit verbreitetes Arme-Leute-Gericht.“

Kobra, Viper und Co. stehen als Synonym für eine entbehrungsreiche Vergangenheit. Der Schlangenmann hatte die Zeichen der Zeit erkannt und sich auf die sich wandelnde Klientel eingestellt, hat aus der profanen Essenszubereitung ein touristisches Happening gemacht. Er ist eine lebende Legende, der Einzige, der seine Reptilien noch selbst fängt und im eigenen Restaurant vor seinen Gästen zubereitet. Die Bambusotter schmeckt wie eine Mischung aus Huhn und Kaninchen. Das Fleisch ist fest, dabei nicht zäh, bio und obendrein Slowfood. Was will man mehr?

Ungefähr 40.000-mal war Din-Fu schneller als seine Beute. Dreimal nicht. Beim ersten Biss war er schon 20 Jahre im Geschäft. Das ihn gerade eine Chinesische Nasenotter erwischte, war einfach Pech. Der Volksmund nennt sie auch „Snake of Seven Steps“. Man könne also noch genau sieben Schritte laufen, bevor man tot umfällt. Sich selbst den linken Zeigefinger abzuhacken kostete selbst Din-Fu Überwindung. Beim zweiten und dritten Mal ging es schon viel einfacher. Die fehlenden Finger machen es ihm heute nicht gerade leichter, Nachwuchs für das Geschäft zu finden. Wenn er geht, stirbt auch ein Stück Kultur in Taiwan.