: Hau ab, du Flasche!
TOLERANZ In Bahnhöfen und Flughäfen steht auf das Sammeln von Pfandflaschen Hausverbot. Die Piraten fordern Entkriminalisierung von Flaschensammlern
■ Am Flughafen Schönefeld wurden 2013 gegen fünf Flaschensammler Hausverbote erteilt. 2014 waren es 22. Zusätzlich stellte das Flughafenmanagement 2014 sieben Strafanzeigen gegen Flaschensammler. In Tegel wurden 2013 keine Hausverbote erteilt. 2014 waren es 38 Hausverbote und drei Strafanzeigen.
■ Die Deutsche Bahn sprach 2013 berlinweit 27 Hausverbote wegen des Durchwühlens von Mülleimern aus. 2014 waren es sieben. In beiden Jahren sei in diesem Zusammenhang eine Strafanzeige gestellt worden.
■ Die BVG duldet Flaschensammler, solange sie keine Fahrgäste belästigen.
■ In Hamburg sprach der Flughafen im vergangenen Jahr 25 Hausverbote gegen Flaschensammler aus. Im gleichen Zeitraum wurden 97 Anzeigen wegen Verstößen dagegen gestellt. Die Bahn gab an, keine entsprechende Statistik zu führen. Das Unternehmen rechtfertigte ihr Vorgehen gegen Flaschensammler in Norddeutschland mit „ästhetischen Aspekten anderer Bahnhofsnutzer“, die sich durch die „Problemklientel“ gestört fühlen würden. Auch der Hamburger Flughafen wollte mit dem Verbot seinen Fluggästen einen „angenehmen Aufenthalt“ ermöglichen. Anfangs weigerte sich das Management noch, Anzeigen gegen Flaschensammler zurückzunehmen. (bela)
VON BENJAMIN LAUFER
Wer an den Berliner Flughäfen und Bahnhöfen in Mülleimern nach Pfandflaschen sucht, muss damit rechnen, Hausverbot erteilt zu bekommen. Weil es aber gerade an diesen Orten viele der begehrten Pfandflaschen gibt, kommen manche Sammler trotzdem wieder. In diesem Fall droht ihnen eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs. Der Versuch, sich mit leeren Flaschen legal über Wasser zu halten, kann also vor Gericht enden – das passierte elf Mal in den vergangenen zwei Jahren.
„Es ist ein Armutszeichen für unsere Gesellschaft, dass Menschen gezwungen sind, im Müll nach Verwertbarem zu wühlen“, sagt der Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer. „Dafür dürfen sie nicht auch noch kriminalisiert werden.“ Lauer hatte den Berliner Senat gefragt, wie Flughafenbetreiber, Bahn und Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit Flaschensammlern umgehen. Die Antwort: Verboten ist das Durchwühlen von Mülleimern überall. Der konkrete Umgang mit diesem Verbot ist allerdings höchst unterschiedlich.
Am unbürokratischsten läuft es offenbar bei der BVG. Dort ist es zwar laut Hausordnung theoretisch verboten, in Mülleimern zu wühlen. Auch Hausverbote und Strafanzeigen sieht die Hausordnung bei Verstößen dagegen vor. Hausverbote würden allerdings in der Praxis nur ausgesprochen, wenn andere Fahrgäste belästigt werden, heißt es in der Senatsantwort: „Aber selbst dies ist im Zusammenhang mit der Flaschensammelei noch nicht aufgetreten.“ Ein BVG-Sprecher kommentiert auf Nachfrage: „Wer uns nicht anmacht, den machen wir auch nicht an.“
Restriktiver ist die Praxis an den beiden Flughäfen Schönefeld und Tegel. Dort wurden 2013 fünf und 2014 immerhin 60 Hausverbote gegen Flaschensammler ausgesprochen. Wegen Verstoßes gegen das ausgesprochene Hausverbot stellte die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH im vergangenen Jahr zehn Strafanzeigen gegen Flaschensammler. Ihr Sprecher Lars Wagner begründet das Vorgehen mit angeblichen „Begleiterscheinungen“ des Flaschensammelns. Dazu zählt er Beleidigung von Reisenden und Mitarbeitern, auch Streitigkeiten oder körperliche Auseinandersetzungen mit anderen Flaschensammlern und illegales Übernachten im Flughafen-Terminal.
Die Deutsche Bahn gibt an, sich um die Gesundheit der Flaschensammler zu sorgen. „Beim Durchsuchen der Müllbehälter kann es durch spitze Gegenstände oder zerbrochenes Glas zu Verletzungen kommen“, sagt eine Sprecherin auf Nachfrage. „Weiterhin besteht durch die Öffnungen der Müllbehälter auch das Problem, dass es zu Verschmutzungen im Umfeld des Behälters kommt, wenn dieser durchsucht wird.“ Die Bahn sprach in den vergangenen zwei Jahren in Berlin 34 Hausverbote wegen Durchwühlens von Mülleimern aus und zeigte einen Flaschensammler an.
Hamburger Modell
Pirat Lauer fordert von den Verkehrsunternehmen, eine Vereinbarung nach „Hamburger Vorbild“ zu treffen, um die Situation der Flaschensammler zu verbessern. Konkret würde das bedeuten, Anzeigen gegen Flaschensammler zurückzunehmen und Abstellflächen für leere Flaschen zu schaffen.
In der Hansestadt hat sich der Flughafen darauf eingelassen, nachdem mehr als 57.000 Menschen eine Petition zur Unterstützung der Sammler unterzeichnet hatten. Das dortige Straßenmagazin Hinz&Kunzt hatte zuvor berichtet, dass der Hamburger Flughafen innerhalb eines Jahres 97 Strafanzeigen gegen Flaschensammler gestellt hatte. Diese Anzeigen hat der Flughafen nach den Protesten zurückgenommen und das Pfandsammeln probeweise wieder erlaubt.
Kann es in Berlin auch so laufen? Der Senat sieht jedenfalls „angesichts der geringen Anzahl“ der Strafanzeigen keinen Handlungsbedarf: „Offensichtlich wird die Durchsetzung der jeweiligen Hausordnungen mit dem angebrachten Augenmaß praktiziert“, schreibt ein Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in der Antwort auf Christopher Lauers Anfrage.
Auch die Flughafenverwaltung will nicht pauschal Anzeigen zurücknehmen, sondern allenfalls fallbezogen entscheiden. Auf einen neuen Umgang mit den Flaschensammlern will sie sich nicht festlegen lassen: „Wir stehen im Gespräch mit anderen Flughafenbetreibern“, sagte Sprecher Lars Wagner.
Auch eine Sprecherin der Deutschen Bahn äußert sich äußerst zurückhaltend: „Wir verfolgen das probeweise Flaschensammeln im Hamburger Flughafen mit Interesse.“