: Eingeschränktes Shopping im Advent
Im norddeutschen Einzelhandel geht der Arbeitskampf weiter: Tausende Beschäftigte legen die Arbeit nieder. Kunden zeigen Verständnis. Nach Gewerkschaftsangaben würden die Hamburger Arbeitgeber gerne wieder verhandeln, dürfen aber nicht
von JAN ZIER und KAI VON APPEN
Der Kampf geht weiter: In Hamburg, Bremen, Braunschweig und Osnabrück sowie an weiteren Standorten im Norden sind gestern zahlreiche Kauf- und Warenhäuser und Supermärkte bestreikt worden. Die Gewerkschaft Ver.di fordert für die Beschäftigten 5,5 Prozent mehr Geld und den Erhalt von Spät-, Nacht- und Sonntagszuschlägen. Die Arbeitgeber bieten 1,7 Prozent mehr Gehalt – und wollen die Zuschläge im Gegenzug kürzen. Auf die gestrigen Streiks und Demonstrationen reagierten sie betont gelassen.
Die Tarifverhandlungen liegen seit längerem auf Eis: In den Tarifbezirken Bremen/Niedersachsen und Hamburg wurden die Gespräche im Sommer ergebnislos abgebrochen. „Seit über sieben Monaten, sagt die Gewerkschaft, lebten die Händler nach dem Prinzip „nichts geben, alles nehmen“.
Überall Streikbrecher
„Absolut entspannt“, nannte gestern der Geschäftsführer des Bremer Kaufhofs, Jörg Pantenberg, die Lage. Jetzt in der Vorweihnachtszeit beschäftige man ohnehin zahlreiche Aushilfen, da sei das Geschäft trotz des Streiks wie gewohnt weitergelaufen. Der Metro-Konzern rechnet nicht mit negativen Auswirkungen für seine Filialisten Galeria Kaufhof, Media Markt oder Saturn. „Es gibt an jeder Ecke Streikbrecher“, schimpft Ver.di-Streikleiter Heiner Schilling. Diese Kräfte verdienten als LeiharbeitnehmerInnen teilweise nur sechs Euro pro Stunde, heißt es bei der Gewerkschaft. Zwar hätten auch sie ein Streikrecht, würden aber von den Geschäftsleitungen „sofort unter Druck gesetzt“, so Ver.di.
Bestreikt wurden gestern vornehmlich Kaufhof-, Karstadt-, Saturn- und Real-Warenhäuser, außerdem die Ikea-Filiale in Großburgwedel bei Hannover. In diesen Häusern ist zumindest gut die Hälfte der MitarbeiterInnen noch gewerkschaftlich organisiert. Rund 500 Beschäftigte des Einzelhandels demonstrierten in der Bremer Innenstadt, in Osnabrück legten Ver.di zufolge gut 350, in Braunschweig 250 Beschäftigte die Arbeit nieder, in Großburgwedel beteiligten sich drei Viertel der Ikea-Belegschaft an dem Warnstreik. „Das waren mehr, als wir erwartet haben“, sagt Schilling. Auch Ver.di-Sekretär Richard Schmid sprach von einem „tollen Erfolg“. Sollten die Händler sich mit ihrer Forderung nach einer Kürzung der Zuschläge durchsetzen, hätten die Beschäftigten Schmid zufolge am Ende jeden Monat 180 Euro weniger in der Tasche. „Eine Schweinerei“, sagt Schmid. Die KundInnen hätten überwiegend „wohlwollend“ und „mit Verständnis“ reagiert, berichten Streikposten aus der Bremer Fußgängerzone.
Wer gestern in den Hamburger Flaggschiffen des Karstadt-Konzerns – dem „Alsterhaus“ und der Karstadt-Filiale Mönckebergstraße – einkaufen wollte, hatte einige zumindest psychische Barrieren zu überwinden: Vor den Eingängen hatten sich Dutzende Streikende mit weißen Ver.di-Plastiküberziehern versammelt. Wer trotzdem einkaufen mochte, handelte sich ein schrilles Trillerpfeifenkonzert ein. Gegen Mittag wurde es den Karstadt-Verantwortlichen offenbar zu bunt: Obwohl die Streikenden den Kaufwilligen stets freien Zugang gewährten, drohten die Kaufhausbetreiber mit der Räumung durch die Polizei.
In Hamburg traten nach Gewerkschaftsangaben 1.400 Beschäftigte in Streik. Alle zehn Häuser von Karstadt, Kaufland und Kaufhof sowie dutzende Filialen der Supermarktketten Edeka, Real, Penny, Rewe und Sky waren davon betroffen. Anders als beim letzten Ausstand im November waren die Streikenden diesmal angehalten, vor ihren Betrieben zu bleiben und mit den Kunden zu sprechen. Auf deren Unterstützung nämlich sei man „besonders angewiesen“, so Ver.di-Fachbereichsleiter Ulrich Meinecke. Viele Arbeitgeber seien dazu übergegangen, frühzeitig Aushilfen zu ordern oder gleich Zeitarbeitsfirmen anzuheuern. Diese stellten dann im Eiltempo geschulte Leiharbeitnehmer zum Kassieren oder Regale Auffüllen bereit.
Kein Sonderweg
In Hamburg hatten Ver.di und der Handelsverband BAG Hamburg im Vorfeld einen Tag lang Sondierungsgespräche geführt. Daraufhin hatte die Gewerkschaft die Einzelhändler zu direkten Verhandlungen aufgefordert und einen Streikverzicht in Aussicht gestellt. „Wir hatten den Eindruck, dass die Hamburger, gerade weil wir hier so streik-intensiv sind, eine Einigung wollten“, sagt Ver.di-Verhandlungsführer Meinecke. „Sie durften aber nicht.“ Seinen Informationen zufolge gebe es im Arbeitgeberlager „eine Zerrissenheit wie noch nie“, so Meinecke: Der Metro-Konzern blockiere auf Bundesebene jegliche Einigung, und Karstadt wage es nicht, sich auf die Seite der Verhandlungswilligen zu schlagen. Eine Stellungnahme von BAG-Geschäftsführer Heinrich Grüter war dazu gestern nicht zu bekommen.
Der Streik soll an diesem Wochenende vielerorts weitergehen. Neben Streiks in Hamburg plant Ver.di weitere Aktionen in Braunschweig, Celle und Osnabrück sowie in der hannoverschen Innenstadt. Am Montag bekommen die Einzelhändler dann erstmal eine Verschnaufpause. Kommt es aber nicht zu Verhandlungen, will Ver.di ab Ende der Woche weitermachen. Streiken werde man notfalls auch an Heiligabend und Silvester.