piwik no script img

Archiv-Artikel

Ruhe im „Karton“

NACHBARSCHAFT Bei einer Podiumsdiskussion waren sich Club-Besitzer, Kulturschaffende und Politiker einig: Bremens lebendige Club-Szene dürfe nicht durch ruhebedürftige Nachbarn gefährdet werden

Von JPB
„Die Leute wollen eine Schlafstraße und drumherum Halligalli“

Carsten Werner, Grüne

Um Lärm sollte es im Café „Karton“ am Dienstag gehen – und es wurde laut. Allerdings nicht, weil sich die DiskutantInnen stritten, sondern wegen der Gäste draußen: So viele waren aufgetaucht, dass der Veranstalter die Diskussion mit Lautsprechern auf die Straße übertrug. „Wie wichtig ist eine lebendige Kultur- und Clubs-Szene für den Wirtschaftsstandort Bremen?“ hatte der Verein „Clubverstärker“ gefragt, in dem viele Gastronomen und Clubs der Stadt zusammengeschlossen sind.

Für Aufsehen hatte das Thema vor allem im Vorfeld gesorgt. Denn unter anderem im Viertel sind die Klagen einzelner AnwohnerInnen über den Lärm der Party- und Kneipengäste immer mehr geworden – teilweise mit Erfolg: Die Traditionskneipe „Litfass“ etwa ist gezwungen, die Anzahl der Konzerte von 20 auf acht zu reduzieren. Auch die Lila Eule, das Lagerhaus oder das Zakk kennen dieses Problem. Erst letzte Woche informierte die „Eisfabrik“ in Peterswerder auf einer Tafel: „Aufgrund von Neid, Missgunst oder Langeweile hat sich ein Nachbar beim Stadtamt über unsere bunten Bänke beschwert. Wir sind leider dazu gezwungen, die Sitzbänke zu entfernen.“

Der Chef des „Eisen“, Fernando Guerrero, hatte sich den Frust bei Facebook von der Seele geschrieben: „Eine neue Generation von Nachbarn ist nicht mehr am Dialog interessiert – sie führen (man muss es wirklich so nennen) einen Vernichtungskrieg“, heißt es da. Trotz der geschmacklosen Wortwahl scheint er einen Nerv getroffen zu haben – sein Beitrag wurde im sozialen Netzwerk über tausend Mal geteilt. Die „Wutwohnbürger“, wie Guerrero sie nennt, seien „ausgestattet mit viel Zeit und destruktiver Leidenschaft, flankiert von darauf spezialisierten Anwälten“, das Viertel würde in absehbarer Zeit zu einem „reinen Wohnfriedhof degenerieren“.

Obwohl ihr Amt für die Durchsetzung der meisten Einschränkungen verantwortlich ist, wollte Stadtamts-Leiterin Marita Wessel-Niepel am Dienstag keine Spaßbremse sein: Der „Lila Eule“ etwa sei aus Traditionsgründen erlaubt worden, auch donnerstags ohne Sperrstunde zu öffnen. Das Stadtamt selbst kämpft deswegen nun mit der Klage eines Anwohners. Wessel-Niepel äußerte sich genervt: AnwohnerInnen-Beschwerden könnten „nicht die Hauptaufgabe“ ihres Amtes sein. Meist träfe es einzelne Kneipen, obwohl es um die lärmenden Leute auf der Straße ginge. „In der Stadt ist es eben laut“, sagte sie.

All das brachte ihr lauten Applaus. Und auch sonst blieben sich fast alle einig. Unternehmer Carsten Meyer-Heder begrüßte eine attraktive Kneipen-Szene als Standortfaktor, Litfass-Chef Norbert Schütz war ohnehin Betroffener und auch der Grüne Carsten Werner kritisierte die Bigotterie: „Die Leute wollen eine Schlafstraße und drumherum Halligalli.“

Der kontroverseste Einwurf kam von den AktivistInnen des Zuckerwerks: Sie kritisierten, die Diskussions-Veranstaltung stelle die Club-Kultur „unter eine Wirtschaftslogik“. Und beinahe, kurz vor Schluss, hätte auch Carsten Werner fast noch Ärger bekommen, als ein Zuhörer ihn mit einem Grünen-Wahlplakat konfrontierte, das in nur 20 Meter Entfernung vom Sielwall-Eck für „mehr Ruhe“ wirbt. Immerhin habe es „eine Diskussion angeregt“, redete Werner seine Partei aus der Patsche. Schon war wieder Ruhe.  JPB