: „Unabhängige Menschen mit guter Fachkenntnis“
KONTROLLE Ein halbstaatliches Institut soll künftig über die Verteilung und die Qualität von Spenderorganen wachen, sagt der Chirurg und Gutachter Matthias Rothmund. Zudem müssten Patienten mehr Rechte bekommen und besser informiert werden
■ 72, Expräsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, leitete von 1987 bis 2008 die Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie an der Universität Marburg. Er ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und gehört einer externen Gutachterkommission an, die die Regelverstöße bei Lebertransplantationen am Göttinger Uniklinikum untersucht.
taz: Herr Rothmund, Sie haben Alltag und Praxis an deutschen Transplantationskliniken über Jahrzehnte verfolgen können. Was trieb Ärzte zuletzt an mehreren Unikliniken dazu, gegen die Regeln zu verstoßen?
Matthias Rothmund: Den Ärzten ging es nicht, wie man vermuten könnte, um Geld. Die erste Triebfeder ihrer Verstöße war der Ehrgeiz, in kurzer Zeit ein aktives Transplantationszentrum aufzubauen, viele Patienten zu transplantieren und damit Anerkennung bei den Kollegen zu finden. Die zweite Triebfeder war falsch verstandenes Engagement für die eigenen Patienten.
Was heißt das?
Es bedeutet, dass ein Arzt seinem Patienten unter Umgehung der gesetzten Regeln ein Organ gibt, obwohl er weiß, dass auf der Warteliste in anderen Einrichtungen deswegen ein anderer Patient länger warten muss.
Waren es ausschließlich individuelle Verstöße?
Ja, es war eine begrenzte Zahl von Ärzten, denen Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Sicher wird es hilfreich sein, einzelne Schuldige aus dem System herauszunehmen. Das allein wird aber nicht reichen. Wir müssen das System auf neue Füße stellen. Wir brauchen eine bessere Überwachung, denn das bisherige System hat sich betrügen lassen.
Haben manche Kontrolleure bewusst weggeguckt?
Das glaube ich nicht. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass es so schwere und häufige Verstöße geben würde. Außerdem haben sie ehrenamtlich und zeitlich begrenzt gearbeitet. Natürlich sind sie jetzt alarmiert, schauen genauer hin und überprüfen jedes Transplantationszentrum. Dennoch wird das nicht reichen.
Kann man derzeit nur durch Betrug am System Erfolge haben?
Nein. Man kann auch auf anständige Weise auf große Zahlen und gute Ergebnisse kommen.
Manche Kontrolleure hatten die Regeln zuvor selbst aufgestellt. Andere sind selbst Transplantationschirurgen. Wie wollen Sie solche Interessenkonflikte künftig verhindern?
Man kann die Überwachung nicht der Vertretung einer beteiligten Berufsgruppe überlassen. Deswegen ist die Mehrzahl der Mitglieder der Leopoldina-Konferenz der Meinung, dass es ein staatliches oder halbstaatliches Institut geben muss, das unabhängig überwachen kann.
Staat allein ist noch kein Garant von mehr Gerechtigkeit, Kontrolle und Transparenz.
Das ist richtig, dennoch bin ich da optimistisch. Es gibt Vorbilder gut funktionierender halbstaatlicher Institutionen; das sind etwa das für die Zulassung und Überwachung von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut oder das Robert-Koch-Institut im Bereich der Infektionskrankheiten. Dort arbeiten unabhängige, unparteiische Menschen mit guter Fachkenntnis.
Das Bundesgesundheitsministerium hat über Jahre die Verantwortung an die Bundesärztekammer delegiert. Wird man ohne die Bundesärztekammer auskommen?
Niemand will die Bundesärztekammer vor die Tür stellen. Sie sollte Vertreter in das zu schaffende Institut entsenden, aber sie wird sicherlich nicht die Mehrheit im Institut haben.
Welche Aufgaben hätte ein neues, staatliches Institut?
Das Institut würde darüber wachen, dass zum einen die Kriterien für den Zugang zur Warteliste für ein Spenderorgan, aber auch die Kriterien für die Organvergabe selbst transparent sind und eingehalten werden. Derzeit haben Patienten nicht einmal die Möglichkeit, ihren Status auf der Warteliste von einem Gericht überprüfen zu lassen. Das Bundesinstitut soll daneben ein Transplantationsregister führen, damit man sieht, welches Zentrum wie viele Transplantationen durchgeführt hat mit welchem Ergebnis.
Der Vorschlag kommt einer Entmachtung der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen gleich, ist aber nicht neu. Bislang hat sich die Politik davon wenig beeindrucken lassen. Warum sollte sie es jetzt tun?
Die Aufgabe, der sich die Leopoldina als Nationale Akademie der Wissenschaften in diesem Zusammenhang stellt, ist Politikberatung. Die Politik entscheidet. Aber wir sagen auch: Wer untätig bleibt und sich Reformen verschließt, der nimmt in Kauf, dass es auch künftig Fehlverhalten und Manipulationsversuche geben wird – zulasten der Patienten, die dringend auf ein Organ warten.
INTERVIEW: HEIKE HAARHOFF