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Archiv-Artikel

Mehr Maschine als Mensch am Steuerknüppel

BORDCOMPUTER Die kommerzielle Luftfahrt ist weitestgehend automatisiert. Einige Unfälle in der jüngeren Luftfahrtgeschichte zeigen aber: Sich allein auf den Computer zu verlassen kann fatale Folgen nach sich ziehen. Lufthansa- und Germanwings-Piloten steuern regelmäßig per Hand

BERLIN taz | Lufthansa-Flug 2904 von Frankfurt nach Warschau endete 1993 an einem Erdwall hinter der Landebahn. Es war damals ebenfalls ein Airbus A320, baugleich mit der am Dienstag verunglückten Germanwings-Maschine. Der Flieger raste bei starkem Regen über die Landebahn hinaus und zerschellte an dem Wall. Zwei Menschen starben, 56 wurden verletzt. Eine der Unfallursachen lag im Steuerungssystem des Flugzeugs. Der Bordcomputer hatte aufgrund von Aquaplaning am Ende der Landebahn nicht mehr erkannt, dass das Flugzeug bereits im Ausrollen war – und löste die Bremsen wieder, obwohl das Flugzeug noch viel zu schnell unterwegs war, so der Abschlussbericht der Untersuchungskommission.

Das automatisierte Bremssystem musste danach modifiziert werden. Es ist Teil einer revolutionären Technologie, die Airbus 1988 mit dem A320 in die Luftfahrt einführte: der computergestützten Steuerung des Flugzeugs. Die Startschwierigkeiten einer Innovation, die heute in vielen Flugzeugtypen von Airbus Standard ist, kosteten damals Menschenleben.

Schon nach dem Unglück von Warschau stellten sich Piloten die Frage, ob die Technologie nicht zu weit gehe. Wie viel Steuerungsbefugnis im Cockpit darf ein Bordcomputer haben, wie viel müssen die Pilotinnen behalten? Passagierflüge sind heutzutage technisch nahezu komplett durchautomatisiert.

Bis auf den Start, der manuell durchgeführt werden muss, können moderne Verkehrsflugzeuge alle Flugphasen inklusive der Landung mit dem Autopiloten selbst steuern: Im Reiseflug ist es bei allen Airlines üblich, die von der Crew in den Bordcomputer eingegebene Flugroute – über zugewiesene GPS-Koordinaten – dem Autopiloten zu überlassen. Landungen bei sehr dichtem Nebel dürfen sogar nur von Autopiloten durchgeführt werden. Auch im Anflug auf verkehrsreiche Flughäfen wie etwa London-Heathrow sei der Einsatz der Flugautomatik sinnvoll, so ein Airbus-A320-Pilot gegenüber der taz. „Der Autopilot schafft mehr Kapazitäten bei den Piloten, sich auf die Kommunikation mit dem Tower und den Verkehr zu konzentrieren.“ Die Fehlerwahrscheinlichkeit in Cockpits sinke in diesen Fällen.

Doch bei allem berechtigten Vertrauen in die Technik bestehe die Gefahr, dass Piloten vermehrt das Gefühl für ihr Flugzeug verlieren. Die Bruchlandung eines Boeing-777-Langstreckenjets der koreanischen Fluggesellschaft Asiana 2013 in San Francisco, wo das Instrumentenlandesystem ausgefallen war, resultierte aus dem Mangel an Erfahrung mit manuellen Landungsverfahren. Die Piloten bedienten die Schubkontrolle falsch, mit der Folge, dass das Flugzeug zu langsam und zu tief flog. Bei der Bruchlandung starben drei Passagierinnen, 187 wurden verletzt.

Doch nicht nur bei Ausfällen von Landesystemen ist es wichtig, dass Piloten das Flugzeug per Hand landen können. „Es ist gut, den Flieger schon einige Minuten vor der Landung in der Hand zu haben, um ein Gefühl für das Wetter zu bekommen“, sagt der A320-Pilot der taz. Gerade auf Seitenwinde müssten Piloten schnell reagieren können. Lufthansa, so der Airbus-Pilot, ermuntere seine Crews explizit dazu, bereits in frühen Stadien des Anflugs den Autopiloten auszuschalten. Auch für Germanwings-Piloten gälten diese Richtlinien.

Bei vielen internationalen Airlines werde hingegen immer häufiger darauf verzichtet, den ganzen Anflug manuell durchzuführen. Die Pilotenvereinigung Cockpit kritisiert diese Tendenz und forderte Anfang dieses Jahres in ihrem Mitgliedermagazin, die vorgeschriebene Anzahl von Prüfungsstunden für Verkehrspiloten pro Jahr von zwei mal vier auf vier mal vier Flugstunden zu erhöhen. Bordcomputer allein seien auch in modernsten Flugzeugen nicht in der Lage, schwierige Situationen in der Luft zu meistern.

TOBIAS KRONE