Das Meer, die Flucht und ein Schmuggler

In fast monochromer Einfachheit erzählt die Regisseurin Nora Hoppe in „La fine del mare“ eine Geschichte von neuen Pässen und großen Sehnsüchten

Es fallen kaum Worte zwischen den beiden, er fährt aufs Meer, sie lernt Vokabeln

Ein Sehnsuchtsschleier liegt über „La fine del mare“, dem neuen Film von Nora Hoppe. Zu Beginn fährt die Kamera vom Meer auf die italienische Hafenstadt Triest zu, schemenhaft ist der Grund unter der graublauen Meeresoberfläche zu erkennen. Man ahnt: Die Geschichte, die erzählt werden soll, ist nicht die der Oberfläche, sondern die des Untergründigen darunter.

Wenig später sitzt der Schmuggler Todor (Miki Manojlović) an seinem Bett, vor ihm liegt eine Frau, bewusstlos, ihr Körper ist übersät mit Quetschungen, blauen Flecken, Wunden. Er ertastet ihren Puls, beginnt vorsichtig ihr Gesicht zu waschen, dann nimmt er ihre Hand und drückt sie an seine Wange. Eine ganze Weile verharrt die Kamera auf diesem Bild.

Die Regisseurin Nora Hoppe führt in „La fine del mare“ zwei Menschen zusammen, die sich aus dem Leben zurückgezogen haben – und die beide nur noch eine stumme, beharrliche Sehnsucht weiter am Leben hält. Todor möchte, jetzt, nachdem seiner Frau gestorben ist, endlich weg aus Triest; er spart sein Geld auf ein Fleckchen Land in Herzegowina. Nilofar (Diana Dobreva) – die Frau, die Todor verpackt in einer engen Holzkiste für ein kleines Extrageld in der Nacht auf sein Schiff genommen hat, zusätzlich zu seinen vier üblichen Stangen Zigaretten – wird seit ihrer Kindheit verfolgt. Sie ist auf der Flucht und will nur eins: sich an ihren Peinigern rächen, von denen sie nur weiß, dass sie irgendwo in Paris sind.

Ganz langsam kommen sich die beiden näher. Als Nilofar aufwacht, versucht sie zu fliehen, obwohl sie ihre Füße kaum tragen. Stumm ringen die beiden miteinander, in ihren ineinander verknäulten Körper lässt sich der spätere Liebesakt bereits erahnen.

Nora Hoppe zeigt die Annäherung der beiden in langen, verhaltenen Einstellungen, die mehr das Nachwirken des Erzählten bebildern, als selbst zu erzählen. Es fallen kaum Worte zwischen den beiden, Todor und Nilofar sitzen zusammen beim Essen, er verbindet ihre wunden Füße, nachts fährt er hinaus aufs Meer, während sie in der Wohnung wartet und französische Vokabeln aus einem Wörterbuch vor sich hin murmelt.

Ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett, die kargen, ausgeblichenen Lichtstreifen, die durch die zugezogenen Vorhänge in Todors Wohnung fallen, mehr braucht der litauische Kameramann Rimvydas Leipus nicht, um Tableaus in fast monochromer Einfachheit zu komponieren, in denen die kurzen eruptiven Momente – Todors Kampf mit Nilofars „Besitzern“, die stürmische Umarmung der beiden – um so eindringlicher wirken. Die Sehnsucht der beiden gipfelt in meditativen Totalen auf das Meer vor Triest, unterlegt mit einer untergründigen Tonspur aus Meeresrauschen, Wortfetzen und Klavierfragmenten – als Kontrapunkt zu den Brauntönen in Todors Wohnung und dem Grau der Industriebrachen am Rand der Stadt.

Nur manchmal wird es zu viel des Elegischen, etwa wenn Nilofar aus der Sprachlosigkeit ihres Leidens heraus, am Fenster sitzend und ins Leere schauend, anfängt zu singen. Dann wird der Gestus des Films pathetisch, als reichten Hoppe ihre einfachen, schönen Bilder nicht, um den Figuren trotz ihrer Versehrtheit ihre menschlich-reine Integrität zu erhalten.

Fast am Ende des Filmes, als Todor Nilofar einen neuen Pass besorgt hat und sie endlich nach Paris weiterfahren kann, steht er bei ihr und fragt ganz unvermittelt: „Gehst du jetzt, oder bleibst du bei mir?“ Wie weit sich die Sehnsucht des einen mit der Sehnsucht des anderen des anderen deckt – Hoppe hält diese Frage einen ganzen Film lang in der Schwebe. ADRIAN RENNER

„La fine del mare“. Regie: Nora Hoppe. Mit Miki Manojlović, Diana Dobreva. Deutschland 2007, 110 Min.