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Archiv-Artikel

Musik als Bonus

Musikhörer, die sich nur noch mit Playlists auf dem eigenen Rechner beschäftigen, kennen dieses Problem vermutlich nicht. Wenn man aber bei digitalisierten Tonträgern noch die gute alte CD bevorzugt, kann es manchmal ganz schön nerven: das Bonusmaterial.

Das Hören eines Albums wird dann nämlich entweder zum bürokratischen Verwaltungsakt, dem ein gewissenhaftes Programmieren des Abspielgeräts vorangeht, oder man schreckt mitunter nach dem letzten Titel hoch, weil unvermittelt ein Alternativmix, Studio-Outtake oder historisches Interview mit dem Musiker folgt, das man gar nicht unbedingt hören wollte.

Genau genommen hat mit der Einführung des Bonusanhangs für CDs ja die Abschaffung des Mediums selbst eingesetzt. Denn was vorher eine geschlossene Einheit war, das Album als Schallplatte mit seiner technisch bedingten endlichen Spielzeit, wurde dank des größeren Fassungsvermögens der CD zur digitalen Verfügungsmasse, zur Speichereinheit, die man – ökonomisch betrachtet – nicht einfach ungenutzt lassen wollte. Wer kauft schon so ein Ding mit dreißig Minuten Musik, wenn da mehr als doppelt so viel draufpasst?

Dann kamen die MP3s und die individuell zusammengebastelten Favoritenlisten. Hier konnte man plötzlich sehr viel Speicherplatz nach eigenem Gutdünken mit Dateien vollstopfen. Was ganz sicher seine Vorteile hat. Vor allem, wo es das meiste davon umsonst im Netz gibt. Demgegenüber ist eine CD reichlich starr und letztlich überflüssig.

Der ursprüngliche Kaufanreiz, insbesondere bei Schallplatten-Wiederveröffentlichungen, einen Mehrwert durch mehr Material gegenüber der Vinylfassung zu schaffen, ist auf lange Sicht daher nach hinten losgegangen: Heute ist die CD längst ein Auslaufmodell.

Da ist es schon ein wenig ironisch, wenn Plattenfirmen zur Gegenstrategie greifen und Musik, die es zunächst nur auf CD gab, anschließend – streng limitiert, versteht sich – als Schallplatte mit Zusatzmaterial herausbringen. Das englische Label Touch ist so mit dem zweiten Album der isländischen Cellistin Hildur Gudnadottir verfahren: „Without Sinking“ gibt es jetzt als Doppelalbum mit drei bisher unveröffentlichten Stücken.

Die Bedenken gegen die möglicherweise beeinträchtigte Werkeinheit erledigen sich weitgehend, weil die Mehrheit der Extrastücke für die vierte Plattenseite reserviert wurde. Und außerdem würde man sonst die von Gudnadottir vorgetragene Hymne „Heyr Himnasmidur“ verpassen. TIM CASPAR BOEHME

■ Hildur Gudnadottir: „Without Sinking“ (Touch/Cargo)