: Zurückgeben und nehmen
Mit der Lüneburger Heiligenfigur und einem expressionistischen Gemälde Ernst Ludwig Kirchners erhielt die niedersächsische Museumswelt 2007 nach langem Warten zwei verlorene Kunstwerke zurück. Und überließ ihrerseits ein Werk Lovis Corinths seinen rechtmäßigen Eigentümern
Von Grit Beecken
Curt Glaser war nicht nur Direktor der staatlichen Kunstbibliothek Berlin, er war auch ein Freund Edvard Munchs, Publizist und Kunstsammler. Und jüdisch-deutscher Abstammung. Als er 1933 flüchten musste, ließ er seine Sammlung zu Preisen weit unter Marktwert versteigern.
74 Jahre später erhielten seine Erben zunächst zwei Werke zurück, weitere wurden bei verschiedenen internationalen Museen angefordert. Im September überließ die Stadt Hannover Lovis Corinths „Römische Campagna“ der Nichte Glasers, Constance Sattler, und deren Tochter Valerie. Aus Basel erhielten die Erben ein Munch-Porträt.
Nun war Niedersachsen um ein Gemälde ärmer, der Ausgleich aber erfolgte prompt: Das Oldenburger Landesmuseum nahm im Dezember einen späten Heimkehrer im Empfang. Nach 70 Jahren kehrte Ernst Ludwig Kirchners „Knabe mit Vogel“ in die Sammlung zurück. Die Nazis hatten das Bild 1937 als „entartet“ eingestuft und verkauft.
Jüngster niedersächsischer Heimkehrer ist die Heiligenfigur der „Goldenen Tafel“. Ihr Geburtsort lag in der Lüneburger Michaeliskirche, im 19. Jahrhundert wurde sie als Museumsstück nach Hannover überführt und verschwand vor etwa 100 Jahren spurlos. Als die im März im holländischen Maastricht wieder auftauchte, kauft das Landesmuseum Hannover sie mit Unterstützung verschiedener Stiftungen für 250.000 Euro zurück.
„Römische Campagna“
2008 wird Corinths „Römische Campagna“ im Jüdischen Museum Berlin gezeigt: als Teil der Ausstellung „Raub und Restitution“, die Schicksale von jüdischen Sammlern und Künstlern während der NS-Zeit präsentieren soll. Mit einem Versicherungswert von etwa 440.000 Euro wird das Bild aus dem Jahr 1914 derzeit für den Transport in die Hauptstadt vorbereitet.
Sein ehemaliger Eigner Curt Glaser teilte in der 30er Jahren das Schicksal vieler Juden im Öffentlichen Dienst: Im April 1933 wurde er als Direktor der Staatlichen Kunstbibliothek in Berlin entlassen. Glaser sah sich gezwungen, seine Kunstsammlung zu verkaufen. Nachdem er aus seiner Berliner Dachgeschosswohnung ausgezogen war, zog dort die Gestapo ein. Zwar gelangte Glaser selbst mit Hilfe der Auktionserlöse in die USA, der Großteil seines Vermögens aber verblieb in Deutschland. Von seiner Flucht habe Glaser sich „nie erholt“, erklärte später ein Sprecher der Familie. Curt Glaser starb 1943 im Alter von 64 Jahren im US-Bundesstaat New York.
In Hannover verbleiben nach der Restitution noch weitere 17 Bilder von Lovis Corinth. Die „Römische Campagna“ hatte die Stadt 1949 erworben – und die Vorgeschichte des Werkes sei da nicht bekannt gewesen.
Die Heiligenfigur der Goldenen Tafel
Anfang dieses Jahres tauchte im Kunsthandel eine weibliche gekrönte Heiligenfigur auf. 28,5 Zentimeter hoch, rund 600 Jahre alt und in „außergewöhnlich gutem Zustand“, glaubt man den Angaben des Landesmuseums Hannover, dem die Statue 250.000 Euro wert war. Die Freude war groß, als entdeckt wurde, dass sie einst zum Skulpturenschmuck der gotischen „Goldenen Tafel“ aus der Lüneburger Kirche St. Michaelis gehörte und damit bereits im 19. Jahrhundert den Umzug ins hannoversche Museum angetreten hatte. Hier steht sie nun auch wieder.
„Obwohl die Figur als Bestandteil der Goldenen Tafel einem größeren Zusammenhang eingebunden gewesen ist“, sagt der Kunsthistoriker Hartmut Krohm, „geht von ihr auch in der Einzelaufstellung eine große Faszination aus.“ Wo die Statue diese Faszination in den vergangenen 100 Jahren überall ausgeübt haben mag, ist nicht bekannt: Sie galt als verschollen.
„Knabe mit Vogel“
Der Verbleib von Ludwig Kirchners „Knabe mit Vogel“ (1918) hingegen ist bekannt. Der Direktor des Oldenburger Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte, Bernd Küster, sagt: „Die Frau, die uns das Gemälde verkauft hat, ist mit ihm groß geworden. Es hing immer im Wohnzimmer ihrer Eltern und ist nie auf einer Ausstellung gewesen.“ Daher habe sie eine ganz besondere Beziehung zu dem Bild gehabt, das sie dem Museum exklusiv angeboten habe. „Sie rief an und sagte, wenn wir das Bild haben wollten, dann könnten wir es haben“, sagt Küster.
Gemalt hat Kirchner das Bild in der Schweiz. „Es handelt sich um eines der ersten Bilder nach seiner ganz großen Krise nach dem Einsatz im Ersten Weltkrieg“, erläutert Küster. Kirchner habe sich in die Schweiz geflüchtet und dort Heilung und Schutz gesucht. „Es ist ein sehr persönliches Bild. Kirchner suchte selber den Schutz, den der Junge auf dem Gemälde dem Vogel angedeihen lässt.“
Küsters besondere Wertschätzung gilt der Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, Isabel Pfeiffer-Poensgen: Wenn die nicht gewesen wäre „und uns Mut gemacht hätte, indem sie sagte, dass wir den Kauf hinbekommen“, sagt er, „dann wäre das alles nicht möglich gewesen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen