: „Teil einer neuen Ära“
EUROPARECHT Die EU will die Rechte von Beschuldigten in Strafverfahren stärken. Ein Gespräch mit Jan Philipp Albrecht, EU-Abgeordneter der Grünen, über die Pläne
■ 28, ist 2009 über die Bundesliste der Grünen als jüngster deutscher Abgeordneter in das EU-Parlament gewählt worden. Dort sitzt er im Innen- und Rechtsausschuss. Der Jurist betreut für die Grünen die Nordregion Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Foto: MNZ
INTERVIEW JOHANN LAUX
taz: Herr Albrecht, diese Woche hat das EU-Parlament eine Richtlinie zum Recht auf Belehrung in Strafverfahren angenommen. Wer verhaftet oder festgehalten wird, muss demnach einen „Brief der Rechte“ erhalten. Sind Sie zufrieden?
Jan Philipp Albrecht: Auf jeden Fall! Die Richtlinie ist ganz wichtig. Sie schließt eine Lücke im Grundrechtsschutz in Europa. Ich bin seit über einem Jahr als Berichterstatter im Europäischen Parlament damit befasst, europaweit hohe Mindeststandards in Strafverfahren durchzusetzen. Es ist ein gutes Gefühl, Teil einer neuen Ära des europäischen Rechts und Schutzes der Grundrechte zu sein.
Enthält der Brief der Rechte tatsächlich neue Rechte oder ist er nur ein Brief über Rechte?
Der Fahrplan zur Stärkung der Rechte von Verdächtigten oder Beschuldigten läuft leider ein wenig in die falsche Richtung. Logisch wäre es gewesen, wenn vor dem Rechtebrief, der die Beschuldigten über ihre Rechte aufklären soll, der Inhalt dieser Rechte bestimmt worden wäre. Jetzt kommt es darauf an, zu klären, wann und wie ein Beschuldigter seinen Anwalt sprechen darf oder Kontakt zu Dritten aufnehmen kann, etwa zu seinen Angehörigen oder Arbeitgeber. Da gehen mir die Vorschläge der Kommission nicht weit genug. Für die Bürgerinnen und Bürger der EU werden diese Fragen immer relevanter. Sie reisen viel in Europa und werden auch öfter ausgeliefert.
Aber nicht nur Europäer werden in Europa verhaftet. Der Rechtebrief soll Beschuldigte in ihrer Muttersprache über ihre Rechte aufklären. Gilt das auch für Menschen aus Afrika und Asien?
Wir als Grüne wollen, dass die Informationen nicht nur in europäischen Sprachen verfasst werden. Das haben wir so nicht durchbekommen. Die Mitgliedstaaten können aber durchaus über die Richtlinie hinausgehen. Dies entspräche auch ihren Verpflichtungen aus den Menschenrechten.
Wenn die Menschenrechte ohnehin gelten, warum ist dann eine Harmonisierung in der EU notwendig?
Weil die Mitgliedstaaten unter anderem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg verschieden interpretieren. Zudem macht es für Menschen einen Unterschied, ob sie in Frankreich von der Polizei verhört werden oder in Rumänien inhaftiert werden, dort sind die Haftbedingungen deutlich schlechter als im übrigen Europa.
Macht nicht auch die verstärkte Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen – wie durch den Europäischen Haftbefehl – einen wirksameren Grundrechtsschutz nötig?
Völlig richtig. Der Europäische Haftbefehl ist die bekannteste Maßnahme zur gegenseitigen Anerkennung und Zusammenarbeit der nationalen justiziellen und polizeilichen Behörden. Damit muss aber auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Behörden der Mitgliedstaaten gestärkt werden.
Der Rechtebrief ist Teil des Stockholmer Programms der EU. Es sieht Richtlinien zum Schutz der Grundrechte und zugleich den Ausbau der polizeilichen und geheimdienstlichen Zusammenarbeit vor. Gehen Freiheit und Sicherheit überhaupt zusammen?
■ ist Teil des Stockholmer Programms, das 2009 vom Europäischen Rat beschlossen wurde.
■ Wie in einem Fahrplan sind darin die Prioritäten der EU für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts von 2010 bis 2014 festgelegt.
■ Ein Aktionsplan sieht unter anderem Maßnahmen zum Grundrechtsschutz, zur justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit, zur inneren Sicherheit und zur Migrationspolitik vor.
■ Kritik ist vor allem an Überwachungsmaßnahmen, Eingriffen in den Datenschutz und der Sicherung der EU-Außengrenzen laut geworden. JLA
Grundsätzlich ja. Aber ich bin der Meinung, dass Sicherheit immer nur ein Mittel der Freiheit sein darf. Vor allem im Bereich der Überwachung spiegelt das Stockholmer Programm eine Schieflage zwischen Freiheit und Sicherheit wider. Da sind nicht alle Maßnahmen verhältnismäßig. Wir Grüne haben aber in die Stellungnahme des EU-Parlaments zu Stockholm eingebracht, dass Sicherheit eben nur ein Mittel der Freiheit ist.
Wie nahe kommt man da als Grüner den Liberalen?
Im EU-Parlament sind sich alle Parteien grundsätzlich näher, weil es keine Regierungs- und Oppositionsmehrheiten gibt. Im Innenausschuss arbeiten wir aber sehr eng mit den Liberalen zusammen. Grüne und Liberale sind im EU-Parlament durchaus die treibende Kraft für den Schutz der Grundrechte. Die Richtlinie ist im sogenannten Mitentscheidungsverfahren entstanden.
Wie geht es nun weiter?
Das Verfahren ist auf europäischer Ebene soweit abgeschlossen, der Ministerrat hat bereits zugestimmt. Die Bundesregierung kann jetzt ein Umsetzungsgesetz vorlegen. In Deutschland ist der Umsetzungsbedarf aber nicht allzu groß.