: Die Unbeugsame
Sie war das Gesicht des Widerstands. Bis zur Volksabstimmung. Dann ist Brigitte Dahlbender als Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen S 21 zurückgetreten. Jetzt hat die BUND-Landesvorsitzende die Zeit und den nötigen Abstand, auf eine turbulente Zeit zurückzublicken. Und sie bleibt im Gespräch: als SPD-Kandidatin für die Stuttgarter OB-Wahl nächstes Jahr
von Susanne Stiefel
Das Päckchen hatte es in sich. Der Briefträger stellte es ihr eine Woche nach der Volksabstimmung zu. In das kleine Dorf bei Ulm, wo Brigitte Dahlbender wohnt. Sie ist eine Weile misstrauisch drum herumgeschlichen und hat es dann doch aufgemacht. Schließlich war es nicht anonym, es stand ein Absender drauf. Das Päckchen kam von den Befürwortern von S 21, und es war keine Bombe drin. Es war randvoll gepackt mit sorgsam abgekratzten Aufklebern „Ja zum Ausstieg“ und zerrissenen Infoblättern. „Da hat sich jemand viel Mühe gemacht“, sagt Brigitte Dahlbender und lacht.
Es gab eine Zeit, da ist ihr das Lachen vergangen. Vor allem seit April, als sie als Sprecherin des Aktionsbündnisses in „vorderster Front“ stand. Als sich die Chefin des Protests sorgte, ob der Widerstand friedlich bleibt. Als die gefragte Medienfrau immer auf der Höhe der Argumentation sein musste, weil dauernd Mikrofone und Kameras auf sie gerichtet waren. Als täglich mehr Schmähmails auf ihrem Server aufliefen und sich die SPD-Genossin sogar gegen die eigene Partei wehren musste, die am Großprojekt festhielt, unbeirrt von parteiinterner Kritik.
Heute sitzt Brigitte Dahlbender zu Hause in ihrem hellen Einfamilienhaus mit den Solarzellen auf dem Dach und wirkt befreit. Der große Ratschlag nach der Volksabstimmung findet ohne sie statt, sie überlässt die Führung jetzt anderen, ein großer Druck fällt von ihr ab. Ein knallrotes Kleid hat sich die 56-jährige Exsprecherin übergestreift, gerade so, als müsse endlich wieder mehr Farbe und Leichtigkeit in ihr Leben. Das schmale Gesicht, das so oft so konzentriert in unzählige Kameras geblickt hat, ist entspannter. Von der Küche fällt der Blick auf die Nachbarn in der Neubausiedlung und in den Handtuchgarten, in dem die Biologin Obst und Küchenkräuter erntet. Auch dafür will sie jetzt wieder mehr Zeit haben.
Die Anstrengung hat sich in ihr Gesicht gegraben
Ein Zimmer weiter bollert ein Holzofen, am Adventskranz brennen die Lichter, und es wirkt wie eine heile Gegenwelt zu dem rauen Wind, der ihr als Frontfrau der S-21-Gegner um die Nase geweht war. „Ich will nicht pathetisch klingen“, sagt die Frau, die sie die „Mutter Courage der Bewegung“ nannten, entschuldigend. „Aber ich ruhe schon sehr in der Anerkennung durch meine Familie und meine Freunde. Ohne sie hätte ich das nicht geschafft.“
„Das“ war ein 80-Stunden-Job, der die zierliche Frau in Bewegung hielt. Informieren, argumentieren, überzeugen – die Wortführerin der S-21-Gegner stand ständig unter Strom. Die Anstrengung hat sich in ihr Gesicht eingegraben.
Brigitte Dahlbender ist keine, der die Herzen zufliegen. Dazu ist die promovierte Biologin zu nüchtern und von einer so unerbittlichen Sachlichkeit, dass sie bisweilen spröde wirkt. Doch in dieser Zeit als Sprecherin haben sie die Mitstreiter lieben und die Gegner hassen gelernt. Diese kühle Lady hat polarisiert, vielleicht gerade, weil sie das mit ihrer naturwissenschaftlichen Faktenorientiertheit vermeiden will. Ihr platzte nie der Kragen, selbst wenn die Parteifreunde Rivoir oder Schmiedel sie persönlich angegriffen haben. Sie schießt nicht zurück. Nie. „Ich lass mir doch nicht von anderen vorschreiben, wie ich mich zu verhalten habe“, sagt sie an diesem großen Küchentisch, an dem sie in Zukunft wieder öfter Freunde und Familie bekochen will.
Kein Coaching und kein Talent zur Rampensau
Brigitte Dahlbender hat ihre Sprecherrolle immer als Pflicht verstanden. Sie ist keine Rampensau, die zu Höchstform aufläuft, wenn sie vor der Kamera steht. Manchmal hat sie die Herren Politiker beneidet, die FDP-Pfisters und CDU-Hauks und SPD-Schmiedels, die in einem Moment bei einer gemeinsamen Zigarette noch vernünftig mit ihr sprachen und sich wenig später aufbliesen, wenn ein Statement gefragt war. Medienprofis halt. Der Gedanke an ein Coaching hat sie nur kurz gestreift. „Das wäre nicht authentisch“, sagt sie schlicht. Und so wurde sie mit der Zeit lockerer, nach unzähligen Auftritten bei den Montagsdemos, auf Podien und im Fernsehen. Sie zwang sich dazu, auch mal zu lächeln, und war enttäuscht, als ihre Mutter nach einem dieser Auftritte anrief und sagte: „Du siehst schlecht aus, Kind, geht es dir gut?“ Jetzt geht es ihr jedenfalls besser.
Brigitte Dahlbender gießt Kaffee in die bunten Tassen. Sie freut sich darauf, dass sie nun „ein bisschen Luft schnappen kann“. Ins Kino gehen, mit der Tochter zu Walter Sittlers Lesung ins Theaterhaus, Gespräche, die sich nicht um S 21 drehen. Das Haus wirkt leer, auch der Kater hat sich in die oberen Räume zurückgezogen. Der Sohn und die Tochter sind längst erwachsen und studieren, der Mann ist Arzt und selbst viel unterwegs. Sie haben mitgefiebert, wenn ein Podium oder eine Entscheidung anstand. Sie haben die Mutter und Ehefrau aufgebaut, wenn die Schmäh- und Drohmails mal wieder überhandnahmen und sie sich abends vom Taxi heimbringen ließ, weil sie den Heimweg durch die Dunkelheit scheute.
Doch Brigitte Dahlbender hat mit S 21 nicht abgeschlossen. „Ich bin enttäuscht, aber ich habe nicht resigniert“, sagt die BUND-Landesvorsitzende, und die Augen hinter der Brille gucken unternehmungslustig. „Ich freue mich schon drauf, wenn das Planfeststellungsverfahren auf den Fildern ansteht.“ Die Wissenschaftlerin ist mit dem Protest zur Kämpferin geworden, „mutiger“, so ihre eigene Einschätzung. Sie wird dabei sein, wenn es um die Genehmigung auf den Fildern geht. Sie ist gespannt auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs zur BUND-Klage in Sachen Grundwassermanagement am 15. Dezember. Es gibt noch viel zu tun.
Wie soll es weitergehen mit dem Protest? Was passiert mit den Verlierern der Volksabstimmung? Was mit den Montagsdemos und den enttäuschten Erwartungen? „Ich weiß es nicht“, sagt die Exsprecherin hilflos, „einige werden wie ich weiter an Sachthemen arbeiten, im Schlossgarten werden sich weiter Leute treffen. Aber ich hab auch keine Lösung.“
Es schmerzt sie selbst, trotz besserer Argumente die Volksabstimmung nicht gewonnen zu haben. Aber sie sieht auch, was die Bewegung erreicht hat. Manchmal zwingt sich Brigitte Dahlbender zum Optimismus. Nun hat sie Zeit, aufzuarbeiten, was in der Atemlosigkeit vor der Volksabstimmung nicht möglich war.
Vor allem beschäftigt Dahlbender die Frage, was eigentlich modern ist. Nicht die Bewahrer des Bahnhofs hält sie für altmodisch, sondern die Befürworter eines Immer-schneller-größer-teurer. „Moderne Projekte sind doch die, die Klimaschutz berücksichtigen, Funktionalität und Kundenbedarf“, sagt die ehrenamtliche Naturschützerin, „die passen doch am besten zur Innovationsregion Baden-Württemberg.“ Und in die Welt von morgen.
Das hat sie am meisten gestört: dass es längst nicht mehr um die besseren Argumente ging, sondern um die Machtfrage. All die gewählten Volksvertreter, die Gemeinde-, Kreis- und Landräte, die Bürgermeister und Landtagsabgeordneten – sie hat ihren geballten Aufmarsch vor dem Landtag erlebt. „Die wollten zeigen: egal wie lange ihr diskutiert und demonstriert, wir machen die Projekte, die wir wollen.“ So wurde ein Großprojekt zu einem Symbol der Macht. Doch Modernität wird längst anders definiert.
Die Kirchen etwa haben Nachhaltigkeit längst als Thema eines zukunftsfähigen Deutschlands entdeckt. Brigitte Dahlbender sitzt im Umweltrat der evangelischen Landeskirche, auch in der Präsidialversammlung des evangelischen Kirchentags und diskutiert dort mit über ein zukunftsfähiges Deutschland, in dem Klima-, Umwelt- und Naturschutz eine Rolle spielen. Daimler sucht eine neue Teststrecke und ist schon seit Monaten mit dem BUND darüber im Gespräch. Und für eine neue, innovative Windkraftanlage bei Gaildorf berät sich die Firma Voith nicht nur mit Gemeindeverwaltung und -rat, sondern auch mit den Bürgern.
Es bewegt sich was im Land. Nur in der Politik scheint sich der neue Stil bei SPD, CDU und FDP noch nicht herumgesprochen zu haben. „Viele Politiker haben kein Gespür dafür, was sich tut in unserer Gesellschaft“, sagt Dahlbender.
Zu Spekulationen über OB-Kandidatur: kein Kommentar
Im nächsten Jahr werden die Stuttgarter einen neuen Oberbürgermeister wählen. Wolfgang Schuster will sich über Weihnachten mit seiner Familie beraten, ob er nochmals antritt. „Das wird er sich gut überlegen müssen“, sagt Brigitte Dahlbender. Sie selbst wird immer wieder als SPD-Kandidatin für den OB-Sessel gehandelt. „Ach, diese Diskussion brandet immer wieder auf. Kein Kommentar“, winkt sie ab und schiebt noch nach: „Ich bin eine gute BUND-Landesvorsitzende.“ Dubiose Päckchen wie das der S-21-Befürworter sind in dieser Funktion jedenfalls nicht zu erwarten.
Apropos Päckchen: Das hat sie nach all den Droh- und Schmähmails sicherheitshalber draußen aufgemacht, im Garten, „so ganz hab ich dem doch nicht getraut“. Und dann lacht sie wieder, befreit, dass die Last der Verantwortung weg ist. Aber vor allem über sich selbst und ihre naive Vorsichtsmaßnahme. Als hätte sie einer Paketbombe draußen im Garten entkommen können.