: „Noch nicht das letzte Wort “
Nach dem Urteil im Discomeilen-Prozess erhebt die Verteidigung schwere Vorwürfe gegen das Landgericht Bremen: „Man kann den Eindruck gewinnen, dass das Gericht ein Exempel statuieren wollte“, sagt Verteidigerin von Döllen-Korgel
BRITTA VON DÖLLEN-KORGEL, Fachanwältin für Strafrecht, arbeitet seit 1986 als Rechtsanwältin. Sie ist zugleich Vorsitzende des Bremischen Anwaltsvereins.
Interview Jan Zier
taz: Frau von Döllen-Korgel, wegen einer Schießerei auf der Discomeile ist am Dienstag ihr Mandant, der Albaner Gjete L., wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Waffenbesitz zu einer Haftstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Warum ist das Urteil aus Ihrer Sicht „zu hart“?
Britta von Döllen-Korgel: Das Gericht hat den Sachverhalt nicht richtig gewürdigt – und stattdessen so getan, als sei die Aggression von Seiten meines Mandanten ausgegangen. Das ist nicht so. Das Gericht hat nicht gewürdigt, dass mein Mandant angegriffen worden ist und im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt hat, was bei der Strafzumessung in erheblichem Umfang zu berücksichtigen gewesen wäre.
Nach Ansicht des Gerichts war der 25-Jährige die treibende Kraft in einem Streit rivalisierender Türsteher-Clans, der zu jener Schießerei im Januar 2006 führte…
Das ist nicht das Ergebnis der Beweisaufnahme.
Wie sieht der Sachverhalt aus Ihrer Sicht aus?
Unser Mandant ist zunächst Opfer eines sehr brutalen Übergriffs von Seiten der Familie M. gewesen. Er hat sich dann an seinen Arbeitsplatz vor dem „Tollhaus“ zurückbegeben. Und dort ist dann die vor dem „Beat Club“ postierte Türsteher-Mannschaft in Angriffspose auf meinen Mandanten zugestürmt. Nicht andersherum. Nicht einmal die Mitglieder der Familie M. haben das bestritten. Da kann man nicht so tun, als sei die Initiative von meinem Mandanten ausgegangen. Das halte ich für einen grundlegenden Fehler des Urteils.
Das ist eine ganz massive Urteilsschelte.
Ja, auf jeden Fall.
Hat Sie dieses Urteil denn überrascht?
Es hat die Verteidigung nicht unvorbereitet getroffen. Das ändert aber nichts daran, dass ich es für falsch halte. Ich will an der Schießerei, bei der auch Unbeteiligte ins Visier geraten und Opfer geworden sind, überhaupt nichts schönreden. Der Angeklagte hat sich strafbar gemacht, keine Frage, aber nicht in der vom Gericht ausgeurteilten Intensität. Die Herangehensweise des Gerichts und der Gang der Hauptverhandlung haben deutlich gemacht, dass das Gericht sehr gegen unseren Mandaten eingenommen war. Ich hätte mir da eine objektivere Herangehensweise gewünscht. Wie voreingenommen das Gericht war, zeigt sich auch daran, dass der Zeuge M. zu einem Art Kronzeugen aufgestiegen ist – obwohl er im Verfahren gelogen hat, dass sich die Balken bogen.
Der Hauptbelastungszeuge des Gerichts, Herr M., gilt dem Vorsitzenden Richter als Freund, Kollege und Verbündeter des Angeklagten L. Wieso sollte ausgerechnet der lügen?
Tatsache ist, er hat in der Hauptverhandlung gelogen. So hat er felsenfest behauptet, mit dem Staatsanwalt über eine vorhandene Kalaschnikow gesprochen zu haben. Das hat der Staatsanwalt nicht bestätigt. Der Zeuge hat außerdem behauptet, in seiner ersten polizeilichen Vernehmung durch die Polizei massiv unter Druck gesetzt worden zu sein, eine bestimmte Antwort zu geben. Das hat der vernehmende Polizeibeamte nicht bestätigt. Diese Liste lässt sich fortsetzen.
Das Geständnis erachtete das Gericht als fehlerbehaftet und zu wenig reuig.
Es handelt sich genau um das Geständnis, welches das Gericht im ersten Durchgang zur Bedingung einer Bestrafung von maximal neun Jahren Freiheitsstrafe gemacht hat. Das Geständnis bestätigt die Anklage. Mehr kann ein Angeklagter nicht tun. Unser Mandant hat im Übrigen sehr wohl sein außerordentliches Bedauern zum Ausdruck gebracht.
Im ersten Durchlauf dieses seit eineinhalb Jahren andauernden Gerichtsverfahren wäre Herr L. mit maximal neun Jahren Haft davongekommen. Dann musste der Prozess wegen kranker RichterInnen neu aufgerollt werden. Und jetzt ist die Strafe deutlich höher ausgefallen. Haben Sie Ihren Mandanten also schlecht beraten?
Nein. Im Übrigen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Ich habe Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof wird daher das Urteil überprüfen.
taz: Ist Ihr Mandat ein Bauernopfer in einem auch politisch brisanten Verfahren?
So würde ich es nicht nennen, aber man kann den Eindruck gewinnen, dass das Gericht auf Kosten meines Mandanten ein Exempel statuieren wollte.