VON ARBEITSLOSEN LÖWEN, SCHWINDELFREIEN BERLINERN UND DEM HEROISMUS DES WIEDERAUFBAUS: Die Schönheit der Zerstörung
VON JÖRG SUNDERMEIER
Im Jahr 1947 besuchte Max Frisch erstmals das kriegszerstörte Berlin und war über das große Ausmaß der Zerstörung ziemlich erstaunt. In sein Tagebuch notierte er: „Die Brücken knien im Wasser.“ Eckhard Thiemann und Dieter Desczyk nahmen diese Zeile zum Titel für ihr Buch „Als die Brücken im Wasser knieten. Zerstörung und Wiederaufbau Berliner Brücken“, in dem sie sich in Bild und Text den Geschichten von rund vierzig Brücken widmen, die im 2. Weltkrieg beschädigt wurden.
Im „Endkampf“ um Berlin nämlich, als die Nazis und wohl auch große Teile der deutschen Bevölkerung noch immer daran glauben wollten, dass die „Festung Berlin“ zu halten sei und es doch noch eine „Wunderwaffe“ in Hitlers Händen gäbe, wurden, im Rahmen der Aktion „Panzerbär“ – ihre Wörter lasst für sie sprechen! – die meisten Spreebrücken, die durch die Bombardements kaum geschädigt waren, gesprengt, um den sowjetischen Vormarsch zu stoppen.
Das gelang dann allerdings nur für wenige Stunden, denn mithilfe von Pontons erichtete die Rote Armee rasch neue Brücken für die Panzer, die Brückensprengungen waren also, wie so vieles andere im Nazireich, einfach nur sinnlos. Dennoch wurde mit einer Akribie gesprengt, die ihresgleichen sucht, Befehl ist bekanntlich Befehl.
Die beiden Ingenieure Eckhard Thiemann und Dieter Desczyk nun erzählen die Geschichte beispielsweise der Löwenbrücke – 1838 im Tiergarten erbaut, stand sie 1947, wie ein Foto belegt, lediglich als Torso da, die beiden Brückenköpfe mit den prächtigen Löwen, die einst den Steg hielten, standen nutzlos im abgeholzten Tiergarten. „Die vier verletzten, arbeitslosen Löwen blickten stumm auf ihre verschwundene Brücke und die Wüstenei ringsum“, reimen die beiden so schön. Seit 1957 ist die Brücke rekonstruiert, „wobei einige Details zeittypisch leicht verändert wurden“.
Da Thiemann und Desczyk vom Fach kommen, verlieren sie sich ab und an im Fachjargon, was jedoch nicht weiter stört. Sehr fällt dagegen auf, dass sie, wie so viele Berliner Stadtgeschichtler, immer wieder die Rekonstruktion der alten, oft um 1900 herum errichteten Brücke einfordern und den modernen Brücken an gleicher Stelle eher grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen.
Doch das trübt die Freude an dem Buch nicht. Viel interessanter als die Texte nämlich sind die Bilder, oft, sofern es die Qualität zulässt, größer als die heutigen Fotos präsentiert, und sehr beeindruckend. Die Herkulesbrücke etwa, im Tiergarten gelegen, ist auf dem Foto von 1945 nur noch ein aus dem Landwehrkanal herausragender Steinhaufen, doch die Leitungen von Ufer zu Ufer sind weiterhin durchgehend, weshalb einige Schwindelfreie diese Leitungen offenkundig als Ersatzbrücke nutzen, wie Fotos belegen.
Die Rathausbrücke, die früher Kurfürstenbrücke hieß, verbindet das Nikolai-Viertel mit dem Schloss. Auch sie war schwer zerstört und wurde schließlich durch einen schlichten Neubau ersetzt. Doch zunächst wurden ihre Reste in eine Notbrücke integriert. Der Fußgängersteg an der Storkower Straße, der heute ja nur noch ein Zehntel von dem ist, was der unsprüngliche 500 Meter lange Steg war, lag verdreht auf dem Boden. Auch dieser Steg wurde wieder gehoben und erst Anfang dieses Jahrhunderts so brachial verkürzt.
All diese Bilder zeigen aber zugleich etwas Merkwürdiges – die Schönheit der Zerstörung. Wie faszinierend verbogener Stahl ist, wie ergreifend die im Wasser kniende Bücke – und wie heroisch teilweise die Wiederherstellungsarbeiten aussehen, die nicht selten mit primitivsten Mitteln vom Kahn aus erledigt wurden.
Wer sich für die Nachkriegsgeschichte Berlins interessiert, wusste vielleicht nicht, dass er sich für Brückenrekonstruktionen erwärmen könnte. Nun aber sollte sich jener Mensch dieses Buch sofort besorgen.
■ Eckhard Thiemann, Dieter Desczyk: „Als die Brücken im Wasser knieten“. Lukas Verlag, Berlin 2015. 144 Seiten, 25 Euro
■ Jörg Sundermeier ist Verleger des Verbrechers-Verlags
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