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Archiv-Artikel

Götterdämmerung an der Volksbühne

THEATER Folgt der Museumsmann Chris Dercon dem wilden Bühnenschlachtross Frank Castorf nach?

Von ROLA

So richtig spannend war es in der letzten Zeit an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz nur dann, wenn Frank Castorf (63) mal wieder selbst die Regie in Sachen „Lautsprecher“ übernahm. Erst hat der Theaterintendant der Berliner Kulturpolitik mangelnde Kompetenz vorgehalten. Dann, dass dort – das ging an die Adresse von Staatssekretär Tim Renner – statt ehrlicher Arbeit „zu viel amerikanisches Englisch geredet“ werde. Und schließlich war Castorf öffentlich sauer, dass ihn der Kultursenator in zwei oder drei Jahren als Theaterdirektor wohl abservieren möchte.

Seither ist Frank Castorf angefressen und hat in der vorletzten Wochen in einem Interview das Ende seiner Intendanz an der Volksbühne selbst angekündigt, ohne allerdings ein genaues Datum zu nennen. Am Theater nennt man das ein Verwirrspiel. Genau das wollte der alte Fuchs Castorf auch.

Nun wird in Berlin wild herumspekuliert, wann und wie Frank Castorf geht und wer kommt. Als Nachfolger ist aktuell Chris Dercon, ein 58 Jahre alter Belgier, im Gespräch. Mehr als ein Gerücht ist es nicht, denn niemand im Roten Rathaus bestätigt die Personalie. Aber Chris Dercon wurde kürzlich in Berlin gesichtet, zusammen mit Kulturstaatssekretär Renner. Damit kocht es in der Gerüchteküche.

Was die Sache, sagen wir mal, „interessant“ macht, ist, dass Dercon kein echter Theaterhaudegen wie Castorf oder Peymann ist. Derzeit leitet der Belgier die Londoner Tate Gallery, er hat aber auch mit Künstlern wie Christoph Schlingensief und Ai Weiwei gearbeitet. Die Londoner Turbinenhalle hat er zu einem riesigen theatralischen Raum verwandelt, Olafur Eliasson oder Tino Sehgal haben dort Produktionen gemacht.

Für den Theaterkritiker Rüdiger Schaper wäre die fehlende Bühnenerfahrung nicht unbedingt ein Hindernis: „Dercon ist kein Intendant, sondern ein Kurator. Aber so läuft es ohnehin in der Theaterszene. Festivals werden kuratiert. Weniger Ensemblepflege, mehr Event- und Biennalencharakter. Schneller Konsum. Formate statt Form.“

Verwirrspiel Volksbühne

Nur: Passt so ein Konzept ans wilde Theaterlabor Volksbühne? Sind die Schuhe von Castorf, immerhin seit langen 23 Jahren erfolgreicher Hausherr am Rosa-Luxemburg-Platz, dafür nicht zu groß? Die Volksbühne ist Kult, an der man sich vielleicht einen Theaterberserker wie Matthias Lilienthal vorstellen könnte. Aber Chris Dercon?

Der Ball ist also im Kulturbetriebs-Spiel und wie viel Frank Castorf selbst daran Anteil hat, bleibt noch ein Geheimnis. Castorf ist klug genug zu wissen, dass es einen Generationswechsel braucht an der Volksbühne. Ihm bleiben der „Ring“ und andere Festspiele. ROLA