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Archiv-Artikel

Frühchen-Versorgung kein Fall für Spezialkliniken

URTEIL Hospitäler verhindern per Klage, dass nur noch große Häuser Frühgeburten betreuen dürfen

Für ein Frühchen gibt es etwa 100.000 Euro

BERLIN taz | Frühgeborene dürfen weiterhin auch in kleineren Krankenhäusern versorgt werden. Das hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg am Mittwoch entschieden.

Dem Urteil vorausgegangen war ein jahrelanger Rechtsstreit um die Frage, ob und ab welcher jährlichen Fallzahl Krankenhäuser in Deutschland befugt sein sollen, extrem früh Geborene medizinisch zu versorgen. Nach Auffassung von Ärzten haben Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm dann bessere Überlebenschancen, wenn sie in größeren Spezialkliniken entbunden werden. Je routinierter der Umgang und je größer die Expertise, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Babys durchkommen, so die Faustformel.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), das oberste Entscheidungsgremium der Selbstverwaltung von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen, setzte daraufhin im Juni 2010 fest: Frühchen unter 1.250 Gramm durften ab 2011 nur noch von solchen Häusern versorgt werden, die mindestens die Betreuung von 30 Frühchen pro Jahr nachweisen können. Zuvor hatte diese „Mindestmenge“ bei 14 Frühchen pro Jahr gelegen. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hatte diese neue Regelung bereits im Januar per Eilverfahren gestoppt und kippte sie jetzt endgültig.

„Es geht um Lebensschutz“, hatte der GBA-Vorsitzende Rainer Hess immer wieder betont. „Die ökonomischen Interessen einzelner Krankenhäuser“ dürften sich nicht zu Lasten der Qualität durchsetzen, mahnte auch die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer – allerdings erfolglos: 43 Krankenhäuser aus ganz Deutschland zogen gegen die Neuregelung vor Gericht.

Die Kliniken monierten, bei einer Begrenzung müssten die betroffenen Eltern weite Wege in Kauf nehmen. „Größe ist keine Garantie für medizinische Qualität“, betonte ihr Rechtsanwalt.

Nach Angaben der Deutschen Kinderhilfe werden bundesweit jährlich etwa 60.000 Kinder zu früh geboren. Für die Versorgung der extrem früh Geborenen erhalten Kliniken Fallpauschalen von etwa 100.000 Euro.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Sitz in Potsdam regelt für ganz Deutschland Streitfälle dieser Art. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Revision kann vor dem Bundessozialgericht eingelegt werden. (Az.: L 7 KA 64/10 KL)

HEIKE HAARHOFF