: „Vernetzte Maschinen“
VORTRAG Ein Experte erklärt die Industrie der Zukunft und was sie für die Menschen bedeutet
■ 51, Informationswissenschaftler, Mitherausgeber der Marxistischen Blätter, leitete für Ver.di die bundesweite Weiterbildungs-Initiative der Druckindustrie.
taz: Herr Hagenhofer, werden bald mit Gedanken gesteuerte Maschinen den Menschen in der Produktionskette ersetzen?
Thomas Hagenhofer: Natürlich wird an solchen Dingen geforscht, das wird aber in nächster Zeit nicht kommen. Mensch-Maschine-Schnittstellen werden sich stark verändern, aber zunächst eher in Richtung Gesten- oder Sprachsteuerung.
Ist das dann „Industrie 4.0“?
Zum Teil. Bei dem Konzept geht es um eine Umkehrung der Produktionslogik. Zentral sind miteinander vernetzte Maschinen, die während des Herstellungsprozesses – so die Vision – mit den Produkten kommunizieren. Das macht Individualisierungen billiger. Dadurch könnte sogar das Gesetz der Massenfertigung – je mehr, desto günstiger – kippen. Allein durch die Digitalisierung von Wertschöpfungsketten ist laut einer Studie eine Produktionssteigerung um 18 Prozent in fünf Jahren möglich.
Ist das Konzept realistisch?
Von der technologischen Basis her ja. Doch bei der Realisierung in den Betrieben gibt es große Hürden, etwa die Finanzierung. Die Kosten werden meiner Meinung nach unterschätzt.
Welche Herausforderungen entstehen für die Mitarbeiter in den Produktionsstätten?
Durch die Rationalisierung werden gerade niedrigqualifizierte Arbeitsplätze wegfallen. Auch Veränderungen im Aufgabenbereich der Mitarbeiter wird es geben. So müssen sie flexibler werden, wenn Wartungen an weltweiten Standorten durchzuführen sind. Außerdem wird Datenschutz ein Problem werden. Die komplette Digitalisierung der Produktion macht eine Totalüberwachung möglich. Jeder Knopfdruck ist dann nachvollziehbar, individuelle Leistungsüberwachung ganz einfach.
Welche Ideen gibt es, um diese Probleme zu lösen?
Beim Datenschutz gibt es nur eine Möglichkeit: die Anonymisierung der Datenerhebung von Anfang an, also direkt an den Maschinen. Beim Thema Arbeitsplätze ist es wichtig, dass keine Dequalifizierung stattfindet. Jobprofile müssen erweitert werden, statt wegzufallen. Zusätzlich sollten die Menschen Autonomie gegenüber der Maschine gewinnen. Sonst werden die Mitarbeiter verschlissen, wie jetzt etwa in vielen Callcentern. Und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich muss wieder auf die Tagesordnung in den Gewerkschaften.
Sehen Sie in der Entwicklung auch Chancen?
Durch die Digitalisierung entstehen auch neue, interessante Stellen. Die Aufgaben von Beschäftigten, die jetzt schon hochautomatisierte Anlagen einrichten, etwa in der Automobilfertigung, werden noch anspruchsvoller. Zudem wird es die menschenleere Fabrik nicht geben, denn Innovation ist nur durch Menschen möglich.
INTERVIEW: JÖRDIS FRÜCHTENICHT
Thomas Hagenhofer: Vernetzung von Mensch und Maschine oder Industrie 4.0 — eine neue Entwicklungsstufe der Produktivkräfte?, Vortrag in der Villa Ichon, 20 Uhr