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Archiv-Artikel

Es wird angestoßen

Ob als Piccolöchen oder aus der Magnumflasche: Sekt ist das Getränk, das die Nation vereint

Sekt passt ja zu jeder Gelegenheit. Zum Geburtstag, zur Hochzeit, zu Silvester, zu Koks. Den Anlass zum Anstoßen gibt es immer, und der deutsche Bürger nimmt ihn immer öfter wahr: Die Sektbranche freut sich jetzt über endlich wieder steigende Absatzzahlen.

Zusammen haben Schaumweinmarkt und Bürger damit eine lange Durststrecke überwunden. Seit Mitte der Neunzigerjahre war der Markt für Sekt rückläufig, aber jetzt ist Schluss mit übertriebener Abstinenz. Die Wirtschaft floriert wieder, und wir lassen die Korken knallen – ein Konjunkturhoch will schließlich begossen werden.

Damit hat das Volk in seine Ursprungsverfassung zurückgefunden: die kollektive Sektlaune. Tatsächlich schlürfen die Deutschen laut Angaben des Verbandes Deutscher Sektkellereien ganz alleine ein Viertel des weltweiten Sektkonsums weg. Das sind immerhin etwa 450 Flaschen im Jahr oder rund 3,8 Liter pro Kopf – das sind viele kleine Gläschen, sofern man nicht direkt aus der Flasche trinkt. Geschmackstechnisch ist der deutsche Schaumweintrinker bodenständig. Rotkäppchen, ehemals der beliebteste Sekt der DDR, ist deutscher Branchenmarktführer. Dass die Marke ein Hauch von Supermarkt-Flair umgibt, stört die Sektfreunde genauso wenig wie das biedere Ost-Image des Erzeugnisses aus Sachsen-Anhalt.

Trotz aller momentanen Trinkfreudigkeit war 1994 das absolute Spitzenjahr des Sektkonsums. Stramme 5,1 Liter pro Kopf wurden sich in den selbigen gehauen. Warum die Sektlaune ausgerechnet in diesem Jahr einen Höhepunkt erreichte, kann man nur erahnen. Ein Anhaltspunkt könnte sein, dass Michael Schumacher 1994 erster deutscher Formel-1-Weltmeister wurde. Und nie wird Sekt besser inszeniert als beim Autorennsport, wo die Siegerehrung einhergeht mit dem triumphalen Abspritzen des Gewinners – Schampus für das Volk.

Der deutsche Schaumwein hat viele Freunde, auch in der Politik. So verhandelte Wirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) erbittert gegen die Weinmarktreform der EU an und kann jetzt erleichtert verkünden, dass „unsere deutschen Qualitätsweine für die Zukunft erhalten bleiben“. Die größte Angst der Weinbauern ist vom Tisch: Auch nach der Reform dürfen die Winzer an ihren bewährten Methoden festhalten und dem Wein während der Gärung Zucker zusetzen, um die Umdrehungen zu erhöhen. Auf das Flaschenetikett müssen sie das auch in Zukunft nicht schreiben. Und wenn schon. Es herrscht Sektlaune: Hauptsache, es knallt. LANA STILLE