„Obama will eine völlig neue Außenpolitik“

Wenn Obama US-Präsident wird, werden die USA aus dem Irak abziehen, das Embargo gegen Kuba aufheben, mit Iran reden und den Albtraum Georg W. Bush vergessen machen, so Obamas außenpolitische Beraterin Samantha Powers

SAMANTHA POWER, 37, ist außenpolitische Beraterin des demokratischen Bewerbers für die Präsidentschaftskandidatur Barack Obama. Sie wurde in Irland geboren, lebt seit 1979 in den USA und ist Journalistin. Bekannt wurde sie mit „A Problem from Hell: America and the Age of Genocide“, mit dem sie 2003 den Pulitzer-Preis gewann. 2008 erscheint von ihr „Chasing the Flame: Sergio Vieira de Mello and the Fight to Save the World“.

taz: Frau Power, das Time Magazin hat Sie zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt erklärt. Was machen Sie mit all dem Einfluss?

Samantha Power: Versuchen, Obama zum Wahlsieg zu verhelfen. Ich war 2004 in der Liste, dann bin wieder rausgeflogen … Man wird, auch wenn das ein bisschen arg hochtrabend klingt, meinen tatsächlichen Einfluss daran messen können, ob es gelingt, das Nachdenken über die menschlichen Folgen politischer Entscheidungen zum Bestandteil von US-Außenpolitik zu machen.

Was soll das heißen?

Nur wenn man die Strukturen und Mechanismen der US-Außenpolitik betrachtet, versteht man, warum wir den Massenmord in Ruanda zuließen und im Irak gelandet sind. Beide Male wurden die Auswirkungen auf die betroffenen Menschen bei der Entscheidungsfindung ausgeblendet. All meine Arbeit hat zum Ziel, das zu ändern. Und derzeit scheint mir der effizienteste Weg, grundlegende Veränderungen in den USA zu erreichen, Obama zum Präsidenten zu machen.

Aber warum sollte ein neuer Präsident etwas ändern können, wenn es tatsächlich um Mechanismen und Strukturen geht?

Sie müssen die Strukturen verstehen, um sie zu ändern. Zunächst müssen Sie anerkennen, dass alle Regierungen der Welt, alle Demokratien zumal, Interessen verfolgen – nationale Sicherheit und wirtschaftliche Interessen. Daran wird sich nichts ändern. Aber jemand wie Obama, dessen Großmutter bis heute in armen Verhältnissen in Kenia lebt, weiß, dass langfristige Sicherheitsinteressen nicht mehr national sind. Wir alle haben ein Interesse daran, das Morden in Darfur zu stoppen, und an weltweitem Frieden und Stabilität. Wenn man das verstanden hat, braucht man noch internationale Unterstützung, um etwas zu tun. In Europa gibt es zum Beispiel viel Unterstützung für Entwicklungshilfe und Institution Building – aber zu wenig für effektive Krisenintervention.

Europa hält die US-Außenpolitik seit einiger Zeit eher für ein Teil des Problems als der Lösung. Glauben Sie, dass die USA ihre Außenpolitik wirklich an Menschenrechten ausrichten können?

Nein, und das habe ich auch nicht vorgeschlagen. Eine Regierung wird gewählt, um die Interessen ihrer Bürger zu vertreten. Aber Menschenrechtsfragen außen vor zu lassen, zu foltern, andere Länder ohne Plan und internationale Unterstützung zu überfallen, Geheimoperationen durchzuführen und Menschen umzubringen – all das ist ein Niveau von Unmenschlichkeit in der Außenpolitik, das seinerseits die nationale Sicherheit der USA in Gefahr bringt. Wenn ich Bin Laden wäre und mir wünschen könnte, wie die Reaktionen der USA ausfallen sollten – ich würde sie ungefähr so notieren.

Auch künftig werden die USA im Kampf um Rohstoffe mit Russland und China konkurrieren. Wird das nicht immer Vorrang vor Menschenrechten haben?

Nur eine der drei Supermächte ist eine Demokratie. Nur die USA hat ein Parlament, eine Presse und eine Zivilgesellschaft, die sich gegen zerstörerische Politik einsetzt. Kurzfristig verschafft das China und Russland einen wirtschaftlichen Vorteil, wie man in Birma oder Sudan sieht. Die Bush-Regierung würde liebend gern mit Sudans Regierung Geschäfte machen, kann das aber nicht, weil der Kongress das wegen Darfur nicht zulassen würde. Es stimmt zwar, dass in den vergangenen Jahren viel vom System der Checks and Balances in den USA zu Bruch gegangen ist, aber den Unterschied gibt es noch.

Sprechen wir über den kommenden Präsidenten Barack Obama und seine künftige Außenministerin Samantha Power …

Das werde ich niemals sein.

Nationale Sicherheitsberaterin?

Nope. Eine der Lektionen, die man von der Bush-Regierung lernen kann, ist, dass man in solchen Positionen wirklich erfahrene Persönlichkeiten braucht. Ich bin Journalistin und Professorin, habe niemals eine verantwortliche Führungsposition innegehabt, und wenn Sie mich besser kennen würden, wüssten Sie auch, warum das keine gute Idee wäre … Okay, im Ernst: Wenn Obama im Januar 2009 das Amt übernimmt, muss er alle drei Sphären außenpolitischen Einflusses der USA wiederherstellen: Hard Power, Legitimität und Kompetenz. Sie strahlen keine Kompetenz aus, wenn Sie eine Journalistin zur neuen Außenministerin machen. Es nutzt nichts, seine besten Freunde auf die wichtigsten Posten zu heben.

Und wie stellt er Hard Power und Legitimität wieder her?

Obama muss den Haushalt ausgleichen, muss aus dem Irak heraus und muss das Militär für Terrorbekämpfung besser ausstatten. Um Legitimität wiederherzustellen, müssen wir Guantánamo schließen, der Folter abschwören, die geheimen Verschleppungen beenden – und öffentlich mit all diesen Fehlentwicklungen abrechnen.

Zwischen den USA und Europa gibt es viel Dissens: beim Kioto-Protokoll, beim Internationalen Strafgerichtshof usw. Was können wir erwarten?

Würde Obama sofort erklären, dem Kioto-Protokoll beizutreten und den Internationalen Strafgerichtshof ratifizieren, würde er damit innenpolitisch nicht durchkommen. Er kann unterschreiben, sich dafür einsetzen, alles Mögliche. Aber bei beiden Themen wird der nächste Präsident, wer immer das ist, sich genau überlegen müssen, was er erreichen kann. Und er muss endlich innenpolitisch wirklich führen und den Weg bereiten, um weiterzugehen.

Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass US-Außenpolitik anders sein kann. Sind nicht viele Ideen der Neokonservativen so stark im Mainstream verankert, dass sie gar nicht mehr wegzudenken sind?

Ich denke, dass Obama eine wirklich andere Politik vertritt. Er fand und findet den Irakkrieg eine idiotische Idee. Er meint, dass die US-Regierung natürlich mit ihren Gegnern sprechen muss, z. B. mit Ahmedinedschad. Er will das Embargo gegen Kuba beenden. Er hat gesagt, dass er keine Atomwaffen gegen Terroristen in Afghanistan einsetzen würde – und wurde dafür von Hillary Clinton sofort attackiert. Wenn Obama vom Traum einer atomwaffenfreien Welt spricht, dann sagt er, was ein Demokrat nicht sagen darf. Denn Demokraten müssen immer beweisen, wie viel Extratestosteron in ihnen steckt. Obama hat wirklich neue Politikvorstellungen – auch wenn er sicherlich von diesem Frischlufttsunami profitiert, den jeder auslöst, der nicht George W. Bush ist.

Wer gewinnt die Vorwahlen?

Bitte? Obama natürlich.

Wen würden Sie gern als seinen republikanischen Kontrahenten sehen?

Wen ich gern sähe? Alan Keyes! (lacht) [Keyes ist ein konservativer Afroamerikaner, den Obama bei den Senatswahlen in Illinois vernichtend schlug Anm. d. Red.] Aber im Ernst: Ich glaube, die Republikaner werden unterschätzt. Sie haben ein Problem, weil alle ihre führenden Kandidaten für den Krieg sind, und die allgemeine Stimmung ist gegen den Krieg. Andererseits haben die Demokraten selten die Gelegenheit verpasst, eine Gelegenheit zu verpassen. Aber weder die Demokraten noch die Welt können es sich leisten, diese Wahl zu verlieren.

INTERVIEW: BERND PICKERT