Unter guten Wilden

Hinter dem Horizont ging es weiter: Zur prächtigen Neuausgabe von Georg Forsters Bericht „Reise um die Welt“, erstmals mit den Illustrationen des Autors

VON CHRISTIAN SEMLER

Die Andere Bibliothek, der wir so viele schön gestaltete Bücher verdanken, präsentiert uns nun einen besonders prächtigen Band: die Folioausgabe von Georg Forsters „Reise um die Welt“. Forster war 17-jährig als Zeichner und Hilfskraft seines ebenso gelehrten wie unleidlichen Vaters Johann Reinhold von dem Entdecker James Cook 1772 zu dessen zweiter Expedition in die Südsee verpflichtet worden. Nach dreijähriger, erfolgreicher Expedition wieder in England, sah sich der Sohn vom Vater als Autor in die Pflicht genommen. Denn der erste Teil des väterlichen Reiseberichts, vertragsgemäß bei der britischen Admiralität eingereicht, verfiel, als unlesbar qualifiziert, der Ablehnung.

Der Sohn, durch keine vertragliche Fessel gebunden, legte auf Englisch im Eiltempo los, um noch vor dem Bericht von Captain Cook das Lesepublikum zu erreichen. Dies gelang, das Resultat wurde in London zu einem großen Erfolg, der allerdings mit der vom Autor selbst übersetzten deutschen Ausgabe, 1784 in Berlin erschienen, noch weit übertroffen wurde. Das Unglück des Vaters, der von da an im Schatten des vielbewunderten Sohnes stand, wurde zum Glück für die damaligen wie die heutigen Leser. Denn Georg Forsters Reisebericht ist in einer so eleganten, präzisen, verständlichen und oft auch anrührenden Weise geschrieben, dass ihn Klaus Harpprecht in einem instruktiven einleitenden Essay zu Recht als eines der frühen Meisterwerke der klassischen deutschen Literatur feiert.

Die Ausgabe innerhalb der Anderen Bibliothek vereint zum ersten Mal seit der Expedition den Text mit einer Auswahl aus den 572 botanischen und zoologischen, zum Teil kolorierten, zum Teil als Bleistiftskizzen vorliegenden zeichnerischen Arbeiten Georg Forsters. Extreme Geldnot nach der Rückkehr nach England und der Entzug der königlichen Gunst zwangen die Forsters, den Großteil dieses Bestandes an Sir Joseph Banks zu verkaufen, den vermögenden Teilnehmer der ersten Expedition Cooks. Dem ging es vor allem um die Bereicherung seiner eigenen Sammlung und nicht ums Publikumsinteresse. Die Sammlung Banks ging später ans Britische Museum und konnte während der Zeit des Kalten Krieges nicht in die Ausgabe aufgenommen werden, die die DDR-Akademie der Wissenschaften herausgab. Forsters Zeichnungen betreffen – vertragsgemäß – nur Fauna und Flora. Es sind wunderbar feine, genaue, subtil kolorierte Werke, wie wir sie von Audubon, dem genialen Vogelmaler des frühen 19. Jahrhunderts, her kennen.

Es gereicht der jetzigen Ausgabe ferner zum Vorteil, dass sie den sprachlichen Duktus des Originals einschließlich einer Reihe von orthografischen Altertümlichkeiten beibehält. Der dadurch erreichte Verfremdungseffekt bewirkt, dass der Leser sich leichter in das Denken des 18. Jahrhunderts, also die Welt der Aufklärung, einfühlt.

Georg Forster, der vielfältig Begabte, schon als 17-Jähriger mit dem deutschen, russischen, französischen und englischen Kulturkreis Vertraute, war ein Kind der Aufklärung. In seinem Reisebericht rühmt er die Gutherzigkeit vor allem der Einwohner Tahitis, wobei er sie mit dem barbarischen Auftreten der „westlichen“ Seefahrer kontrastiert. „Es ist wirklich im Ernst zu hoffen“, schreibt er, „daß der Umgang der Europäer mit den Südsee-Inseln zu Zeiten abgebrochen werden möge, ehe die verderbten Sitten der zivilisierten Völker diese unschuldigen Leute anstecken könnten, die hier in ihrer Unwissenheit und Einfalt so glücklich leben.“ Allerdings verschließt Forster nicht die Augen vor der Wirklichkeit der Südseeklassengesellschaften, glaubt aber, dass die geringe Mühsal des Lebensunterhalts und die geringen Klassenunterschiede im Augenblick noch gesellschaftliche Harmonie gewährleisteten.

Forster beschreibt ausführlich die sexuelle Freizügigkeit auf den Südseeinseln, verfällt aber nicht in die kritiklose Bewunderung einer angeblich „freien Liebe“, die sich nach dem Reisebericht des Barons de Bougainville von 1771 im lesenden Europa verbreitet hatte. Zwar schreibt er, was offensichtlich Kinderprostitution war, der „frühen Wollust“ der Insulaner zu. Aber er versteht die bereitwilligen sexuellen Beziehungen der Südseefrauen mit den Seeleuten auch als Bestandteil des Warentauschs, oft von den Vätern dieser Frauen erzwungen. Dieses Moment des Zwangs und der Furcht vor „weißer“ Repression ist erst neuerdings, in der Arbeit von H. Bolyanatz, „Pacific Romanticism“, hervorgehoben worden.

Forster war von seinem Vater im Geist strenger Naturbeobachtung erzogen worden. Allerdings waren beider Bemühungen dadurch Grenzen gesetzt, dass Captain Cook einen gewichtigen Teil der Zeit dem Auftrag widmete, nach einer Landmasse am Südpol zu suchen. Ein gefahrvolles, von Forster packend geschildertes Unternehmen, das ergebnislos verlief. Wer konnte damals auch ahnen, was sich unter der kilometerdicken Eismasse verbarg?

Was fehlt? Kartenmaterial. Der Anmerkungsapparat ist zu sparsam, Übersetzungen aus dem Lateinischen fehlen. Aber ansonsten – ein geglücktes Unternehmen, das Georg Forster, den späteren glühenden Anhänger der Französischen Revolution, den Mainzer Jakobiner, dessen Biografie im Zeichen des deutschen Nationalismus aus dem historischen Gedächtnis getilgt wurde, zu weiterem Ansehen verhelfen wird.

Georg Forster: „Reise um die Welt“. Illustriert von eigener Hand. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007, 649 Seiten, 79 Euro