: Zurück zum Licht
Chanukka ist das Fest der wunderbaren Ölvermehrung. Aber müssen die traditionellen Festspeisen deshalb im Fett ertrinken? Überlegungen zur jüdischen Küche
VON PHILIPP GESSLER
Der Wein: nicht zu bezahlen. Das Salätchen: lieblos auf den Teller gehauen. Die Portion: mehr als bescheiden. Das Hauptgericht: weitgehend geschmacklos. Das Dessert: irgendwie süß, aber fern jeder Raffinesse. Und all das ausgerechnet hier, im Restaurant des Jüdischen Gemeindezentrums der Hauptstadt. Das koschere Restaurant im Herzen des jüdischen Berlin genoss einen legendär schlechten Ruf. Und stand damit nicht allein.
Es ist ein Kreuz – äh, nein, es ist ein Elend mit der jüdischen Küche hierzulande. Die wenigen koscheren Restaurants in Deutschland sind von sehr unterschiedlicher Qualität. Und in Berlin, das sowieso nicht den Ruf hat, eine Feinschmecker-Metropole zu sein, war es besonders schlimm. Immerhin: Vor kurzem hat der Betreiber des koscheren Restaurants im Jüdischen Gemeindezentrum gewechselt. Es heißt jetzt „It’s Gabriel’s“ – und das Lamm nach einem Hausrezept in Ingwer-Tomaten-Soße ist durchaus zu empfehlen.
Aber es geht hier nicht nur um Berlin, wo die meisten Juden der Bundesrepublik wohnen. Vor dem Problem der oft fehlenden Zutaten und wenigen guten Restaurants für die koschere Küche steht hierzulande jeder schnell – und auch dann, wenn es um ein gutes jüdisches Essen etwa zu Chanukka geht. Generell gesprochen ist die jüdische Küche sehr schmackhaft. Und das vor allem dank der koscher, das heißt: genau ausgesuchten und reinen Zutaten, die Standards genügen müssen, an denen selbst strenge Biobauernhöfe scheitern können. Manchmal aber stößt man hier auf Gerichte, die ihre Herkunft aus der ost- oder mitteleuropäischen Geschichte nicht verleugnen können: Diese Speisen sind dann schwer und grob – Essen eben für hart arbeitende Menschen in den Schtetl des Ostens. Eher in diese Kategorie gehören Latkes und Sufganijot. Das sind die klassischen Speisen für das Chanukka-Fest.
Die Namen klingen exotisch und reizvoll – aber die Begeisterung mag schnell abnehmen, wenn man weiß, dass es sich dabei eigentlich nur um Kartoffelpuffer und Pfannkuchen (oder „Berliner“ oder „Kreppel“ oder „Krapfen“) handelt. Natürlich, auch das sind, gerade wenn frisch bereitet, durchaus köstliche Speisen. Aber die überwiegende Leichtigkeit, die etwa die israelische Küche auszeichnet, die in der Regel auch koscher ist, fehlt diesen Gerichten. Es sind eben Speisen für die kalte, dunkle Jahreszeit, etwa vergleichbar mit Plätzchen oder Lebkuchen, die nicht mehr recht schmecken, sobald die Sonne wieder länger als ein paar Stunden am Himmel steht und die Tage wieder wärmer werden.
Dabei hat bei genauem Hinschmecken das Essen zu Chanukka schon seinen Reiz – wenn man die Hintergründe der Speisen und vor allem die Bedeutung des Festes Chanukka bedenkt. Denn wie alles im Judentum weist auch dieses scheinbar schlichte Essen über sich hinaus, wird auch hier der Alltag geheiligt, ein bisschen Himmel auf die Erde geholt. Und das ist kein schlechter Gedanke, gerade zu Weihnachten, das alle paar Jahr mal mit den Chanukka-Tagen zusammenfällt. Gerade das Judentum war immer sehr erfinderisch darin, die scheinbar banalen Dinge des Lebens so zu deuten, dass in ihnen Größeres aufscheint. Das gilt auch für Latkes und Sufganijot.
Chanukka ist die Feier der Freiheit. Um das Jahr zweihundert vor der Zeitrechnung lebten die Juden in Judäa politisch, wirtschaftlich und religiös einigermaßen autonom. Sie mussten allerdings dem Reich der Seleuziden – das waren hellenistisch geprägte, makedonische Syrer – Steuern zahlen. Das ging so lange gut, wie ein Hardliner, Antiochus IV. Epiphanes im Jahr 175 vor der Zeitrechnung den Seleuziden-Thron bestieg und eine religiöse Harmonisierung seines Reiches brutal durchsetzen wollte. Der neue Herrscher ließ den Tempel in Jerusalem, das zentrale Heiligtum des Judentums, verwüsten, es kam zu Massakern gegen Juden, ihre Religion wurde de facto verboten, im Tempel von Jerusalem wurde ein Altar für Zeus errichtet – eine maximale Provokation. Dagegen richteten sich die Juden auf. Im Jahr 165 – oder im Jahr 3830 jüdischer Zeitrechnung – siegten sie: Unter Juda(s) oder Yehuda, einem mutigem Anführer, der den Ehrennamen Makkaba („Hämmerer“ oder „Hammer“) erhielt, gelang es ihnen, die seleukidische Herrschaft zu beenden – der sogenannte Makkabäer-Aufstand.
Dabei soll sich ein Wunder ereignet haben, an das das Fest Chanukka erinnert: Als die Juden den Tempel von Jerusalem von heidnischen Zeus-Insignien reinigten, fanden sie nur noch wenig heiliges, koscheres Olivenöl vor, mit dem in jüdischer Zeit das Licht im Tempel gespeist wurde – ein Licht, das nie ausgehen durfte. Um aber neues Öl herzustellen, braucht es acht Tage. Und das war das Wunder: Obwohl das vorgefundene Öl eigentlich nur für einen Tag ausgereicht hätte, brannte das Licht acht Tage, so lange, bis neues Öl da war.
Deshalb dauert das Chanukka-Fest acht Tage, wobei pro Tag jeweils eine Kerze entzündet wird. Dazu braucht man eine Chanukkia, einen neunarmigen Leuchter, der nach und nach entzündet wird – wobei der neunte Kerzenhalter einer Kerze vorbehalten ist, mit der die anderen Kerzen sukzessive entzündet werden. Bis am achten Abend alle acht Kerzen brennen.
Interessant und folgenreich ist, dass die Geschichte des Makkabäer-Aufstands in zwei Büchern beschrieben wird, die nicht zur hebräischen Bibel gehören, sondern nur deuterokanonisch oder apokryph sind – während man sie erstaunlicherweise zum Kanon der christlichen Bibel durchaus zählt. Dies ist der Grund dafür, weshalb Chanukka – anders etwa als Pessach – rein religiös gesehen nicht zu den wichtigen Festen im Judentum gehört, obwohl die Juden es schon seit antiken Zeiten feiern (so findet man etwa eine Stelle im christlichen Johannes-Evangelium, die das belegt). Die religiöse Zweitrangigkeit des Festes hat dabei einen Vor- und einen Nachteil: Arbeit ist an diesem Tag nicht untersagt. Aber fasten müssen die Gläubigen auch nicht.
Womit wir wieder beim Essen zu Chanukka wären. Denn das nimmt auf geschickte Weise den geschichtlichen Hintergrund beziehungsweise die Legende um das Wunder im Tempel auf: Latkes und Sufganjiot haben sich auch deshalb im Laufe der Jahrhunderte als traditionelle Chanukka-Gerichte etabliert, weil beides in Öl gebratene Speisen sind. Öl wegen des wunderbar vermehrten Olivenöls, das in der Chanukka-Geschichte vorkommt. Ein etwas plumper Zusammenhang, zugegeben.
Möchte man beim Chanukka-Essen besonders traditionell sein und die Öl-Geschichte betonen, kann man neben Latkes und Sufganijot als Hauptspeise eine jüdisch-sephardische Variante von frittiertem Fisch aus dem 16. Jahrhundert, ein „italienisches Channuka-Huhn“ mit Zutaten wie Eiern, Cayenne-Pfeffer und Zitronensaft oder mit Hackfleisch gefüllte Lauchplätzchen servieren. Sowohl die Latkes als auch die Sufganijot sind nämlich eher als Beilage beziehungsweise Dessert üblich. Ein kleines jüdisches Kochbuch vermerkt übrigens zu den Sufganijot, hier Chanukka-Krapfen genannt, dass sie meist nicht mit Hefe, sondern mit Backpulver bereitet werden. Außerdem klingt das Rezept mit dem jiddischen Spruch aus: „A kechin ferthejlt sich nit.“ Auf Deutsch: Eine Köchin verteilt immer gerecht.“ Ein Hinweis wohl darauf, wie begehrt Sufganijot sind, wenn sie nur gut und frisch zubereitet sind.
Das alles aber wäre kein Festtag, wenn es nicht neben den Kerzen und den Speisen die Gebete für diesen Tag gebe – und die Spiele. Ein eher kryptisches, aber zentrales Gebet zu Chanukka lautet in einer älteren Übersetzung: „Die Griechen zogen gegen mich / In der Chaschmanim Tagen / Brachen meiner Türme Mauern / Entweihten all das heil’ge Öl / Nur ein übrig Krüglein ward / Dem rosengleichen Volk zum Wunder / Der Weisen Rat der Tage acht bestimmt’ zu Lied und Jubel.“
Eingängiger gerade für die Kleinen ist dagegen das traditionelle Chanukka-Spiel – und an dieser Stelle taucht auch wieder das Essen auf: Traditionell spielen Kinder an den Chanukka-Abenden mit einem Dreidel, einem Kreisel mit vier Seiten, auf denen die hebräischen Buchstaben Nun, Gimel, He und Schin beziehungsweise Pe stehen. Es sind die Anfangsbuchstaben des hebräischen Satzes: „Nes gadol haja scham/po“ – „Ein großes Wunder ist dort/hier geschehen.“ Die Version mit dem Buchstaben „Pe“ und dem Wort „hier“ findet sich logischerweise in Israel, „Schin“ und „dort“ überall sonst auf der Welt.
Auch hierzu gibt es eine Legende: Angeblich haben jüdische Kinder in der Zeit der Syrer-Herrschaft so spielerisch ihren Glauben gepflegt. Wurden sie von Syrern mit dem Dreidel erwischt, konnten sie immer sagen, es sei doch nur ein Kinderspiel.
Es ist ja auch ein Spiel, das übrigens grundsätzlich so geht: Es wird mit anderen um eine Kasse mit Süßigkeiten gespielt. Wer den Buchstaben Gimel (das steht für „ganz“) dreht, erhält den ganzen Inhalt der Kasse, alle müssen sie danach wieder füllen. Bei He („halb“) bekommt man die Hälfte der Süßigkeiten, bei Nun („nichts“) nichts und bei Schin („schlecht“) muss man selbst eine Süßigkeit in die Kasse legen. Wer das nicht kann, scheidet aus. Auch hier verbindet das Judentum das Leiblich-Spielerische mit dem Geistig-Religiösen.
Allerdings gibt es eine Spielmöglichkeit, die diesen schönen Satz etwas reativiert: Man kann das Dreidel-Spiel auch um das sogenannte Chanukka-Gelt (mit t!) spielen. Diese Münzen oder Geldbeträge erhalten Kinder während der Chanukka-Tage – samt der Mahnung, vielleicht einen Teil des Geldes für einen wohltätigen Zweck zu spenden.
In den USA, wo das jüdische Leben reicher, aber auch kommerzialisierter ist als hierzulande, wird das Chanukka-Gelt auch dazu genutzt, Kindern größere Geschenke zu machen. Das ist ein (kleiner) Ausgleich. Denn jüdische Kinder haben ja kein Weihnachten und gehen leer aus, während um sie herum ihre christlichen Freundinnen und Freunde die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum stapeln. Da ist es kein Wunder, dass das Jüdische Museum in Berlin seit wenigen Jahren einen Chanukka-Markt in seinem Innenhof organisiert – ganz im Sinne von „Weihnukka“, einer Chanukka-Weihnachts-Mixtradition vor allem in den USA, ein gesellschaftliches Phänomen, das Rabbinern die Stirn runzeln lässt.
Und hier beginnt die tragische und unschöne Seite von Chanukka. Zwar artet das Fest meist nicht in die völlig unspirituelle Völlerei aus, die Weihnachten hierzulande nicht selten prägt. Tatsächlich ist Chanukka im Vergleich „nicht so eine Kommerzschlacht“, wie es der angehende Rabbiner Ariel Dziuballa aus Sachsen sagt.
Zusammen mit seinem Bruder und seiner Mutter betreibt Dziuballa das koschere Restaurant „Schalom“ in Chemnitz. Die Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes und seine Dominanz in der deutschen Gesellschaft sind aber eine Versuchung, auch das Chanukka-Fest mit einer Geschenkeflut zu einer Art Ersatzweihnachten aufzubauschen. Und wie bei Weihnachten geht dabei leicht der besinnliche, religiöse oder spirituelle Charakter des Festes verloren. Auch in Israel ist diese Gefahr nahe, dort gibt es zu Chanukka in der Regel Schulferien. Außerdem feiert man Chanukka in Israel auch als ein leicht zionistisch-militärisches Fest – in Erinnerung an, klar, Juda, den Hammer.
Der Berliner Rabbiner Walter Rothschild jedenfalls erinnert daran, dass Chanukka, religiös betrachtet, eigentlich ein „nicht sehr wichtiges Fest“ sei, das man auch nicht zu einem „Gegenpol zu Weihnachten“ aufbauen sollte. Auch die Makkabäer sieht er ein wenig kritisch, denn eigentlich waren sie ja schon „Fundamentalisten“. Sicher, sie seien mutig und aufopfernd gewesen, meint er. „Aber ob man sie zum Abendessen mit Latkes und Sufganijot einladen würde?“
PHILIPP GESSLER, Jahrgang 1967, ist Reporter der taz und hat zu Chanukka weder Latkes noch Sufganijot gegessen. Dafür war er auf einem Chanukka-Basar und hat für seinen Sohn einen mächtigen Laster für 1 Euro gekauft