: Die dunkle, matte Seite
GLAM II Sieben 20-jährige Kichertüten auf dem Weg zur Disco müssen sich zwischen Seidenmatt und Seidenglatt entscheiden
Es geht mit Belladonna, mit Glycerin, eventuell auch mit echtem Glück: An glänzenden Augen, meist in Kullerform, kommt man vor Weihnachten nicht vorbei. Keine Werbung ohne spiegelnde Pupillen in strahlenden Kindergesichtern, denen Mama, der Weihnachtsmann oder Saturn genau die richtige Art von Freude gemacht hat. Dabei glänzen Augen doch sogar noch stärker, wenn die Tränendrüse aktiv wird, weil man keinen Holzwichtel, sondern eine Wii wollte.
Jedem Oberflächenglanz wohnt noch eine zweite, dunkle, sozusagen matte Seite inne. Kosmetikkonzerne wissen das. Sie erfinden regelmäßig neue Mixturen mit Gold-, Silber- und Platinpartikeln, propagieren Highlighter für alle Gesichtsecken, mixen Lurex- und Glitterpartikel in Dekoratives zwischen Zehennagellack und Haarspray und produzieren in der Saison tonnenweise Lipglossvarianten, die verbitterte Lippen nach Imbisshähnchenverzehr aussehen lassen. Aber sie bieten auch das Gegengift an: Puder, damit der Gesichtsglanz nicht aussieht wie Alkoholikerschweiß.
Matten Überlack, damit die Pornonägel nicht ganz so ein-zweideutig wirken. Und dass glänzende Strumpfhosen ausschließlich an vom Sitzen in Form gebrachten Sekretärinnenbeinen wirken, weiß vor allem Vogue-Chefin Anna Wintour, deren Credo „Never wear thighs! Never! Never!“ sich garantiert auf diese Unart der Beinkleidung bezieht.
Auch künstliche Oberflächen unterlaufen verschiedenen Glanzstimmungen: Wenn man seine Schuhe putzt, glänzen sie schön, wenn man sie aber zu oft putzt, glänzen sie speckig und abgegriffen. Lässt man seine Brille entspiegeln, sind die Augen für jedeN sichtbar. Doch tut man das nicht, spart man erstens Geld, zweitens kann man bessere gespielte Brillenträgerwitze machen, drittens hat man nachts auf der Autobahn die schöneren und psychedelischeren Effekte mit den Rücklichtern des designierten Auffahropfers. Putzt man die Fenster, kann man endlich mal hindurchschauen.
Frontsauverhalten
Aber der Frustrationsgrad bei Sonnenschein ist um ein Vielfaches größer: Nach drei Stunden Polieren immer noch keinen streifenfreien Glanz zu genießen kann die Laune trüben. Ob man mit seinem Nachbarn techtelmechteln möchte, ist davon abhängig, neben wem man wohnt. Ein von der Spülmaschine stumpf geschrotetes Weinglas kann die Rettung sein. Und dass nur richtig glänzen kann, was richtig sauber ist, hat sich als Slogan, aber auch faustdicke Werbelüge entpuppt. Nicht mal Lackhersteller können sich zwischen „Seidenglanz“ und „Seidenmatt“ entscheiden.
Extra hingetupfter und extra angezogener Glanz auf Kleidung und Körper hat zudem etwas Eitles, Selbstverliebtes: Frontsauverhalten eben. Auf der anderen Seite steckt Unsicherheit drin: Sieben 20-jährige Kichertüten auf dem Weg zur Disco. In dem Alter glänzt man prophylaktisch, um zu gucken, ob es jemand bemerkt, und wenn ja, ob man das liked. Glänzende Feinkost wirkt dagegen gemeinhin eher ekelig, unnatürlich, bunt angepinselte Marzipanmöhrchen oder Molekularküchen-Lachs-Perlen oder Sülze, schwitzender Käse. Nahrung obliegt den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie der Mensch: Haar glänzt garantiert nicht von Natur aus, aber durch Glanzspülung und Ionenföhn.
Das einzige natürlich Glänzende ist das Meer bei Windstille. Oder ein zugefrorener See. Als ob die Natur einem damit subtil zu verstehen geben will, dass sie immer noch Glanzfabrikantin Nummer 1 ist, und wenn der Mensch versucht, die schönen Bürgersteigschlitterbahnen mit Salz und Sand zu zerstören, eist der Winter zuweilen einfach drüber. Abgesehen davon, dass man keine Hundepfote sein möchte, wenn so viel Streusalz herumliegt. Dann schon lieber Hundeschnauze: Feuchte Hundenasen sind eine weitere originäre Glanzressource. VeterinärmedizinerInnen behaupten, sie seien nur stumpf, wenn der Hund mit Hundehusten, Hundeschnupfen, Maul-und-Klauen-Seuche im Korb liegt. Das Glanzmessgerät, ein autoradiogroßer, meist silberner Apparat mit Digitalanzeige, könnte hier helfen: Es misst den Glanz auf einer Skala zwischen 0 und 200 Glanzpunkten mit einer Genauigkeit von +/– 1,2 Glanzpunkten. Der Töle an die Nase gehalten, ersetzt es glatt den Tierarzt. JENNI ZYLKA