: „So ein Engagement ist anstrengend für die Leute“
DIE AKTIVISTIN Seit fast 30 Jahren zieht Irmela Mensah-Schramm mehrmals in der Woche los, um Nazi-Propaganda zu bekämpfen. Ihre Waffen: Ein Metallschaber, eine Flasche Nagellackentferner und eine große Portion Hartnäckigkeit. Beirren lässt sie sich in ihrer Arbeit weder von pöbelnden Nazis noch von verständnislosen Polizisten oder mitleidigen Verwandten. Ein Gespräch darüber, wie es sich anfühlt, wenn man seine Lebensaufgabe gefunden hat
■ Die Politputze: So nennt sich die 69-jährige Aktivistin selbst. Die gebürtige Stuttgarterin kam 1969 nach Berlin und arbeitete bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2006 als Heilpädagogin in einer Einrichtung für geistig behinderte Kinder. Außerdem enagierte sie sich ab 1975 in der Flüchtlingsberatung von Amnesty International sowie zeitweise bei den Grünen und in der Friedensbewegung.
■ Das Lebenswerk: Mehrere hunderttausend Aufkleber und Schmierereien mit Nazi-Botschaften hat Mensah-Schramm seit 1986 entfernt. Sie erhielt dafür eine ganze Reihe von Anzeigen wegen Sachbeschädigung, aber auch Auszeichnungen wie den Preis „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ der Bundesregierung.
■ Die Ausstellung: Seit der ersten Eröffnung 1995 wurde die kleine Ausstellung „Hass vernichtet“ bereits über 400-mal gezeigt. Im Büro der Piraten-Abgeordneten Martin Delius und Simon Weiß in der Uhlandstraße 107 werden aktuell unter dem Titel „Mit bunten Farben gegen braune Parolen“ außerdem Arbeiten aus den Schüler-Workshops gezeigt. Öffnungszeiten: Mo–Fr 14–20, Sa 12–17 Uhr.
INTERVIEW MALENE GÜRGEN FOTOS DAVID OLIVEIRA
taz: Frau Mensah-Schramm, seit 1986 sind Sie mehrmals in der Woche unterwegs, um die Nazi-Schmierereien und Aufkleber zu entfernen. Können Sie überhaupt noch einfach so durch die Stadt spazieren gehen, ohne danach Ausschau zu halten?
Irmela Mensah-Schramm: Nein, das geht nicht. Das ist ganz automatisch, die Augen schauen überall, ich entdecke einen Nazi-Aufkleber ja schon von Weitem. Das lässt sich nicht abstellen.
Was war damals für Sie der Auslöser, mit dem Wegputzen zu beginnen?
Das war die eigene Erkenntnis, dass ich mich so schlecht damit fühle, das nicht zu tun. Auf dem Weg zur Arbeit habe ich einen Sticker gesehen an der Bushaltestelle, „Freiheit für Rudolf Heß“. Ich habe nichts gemacht, ich musste ja auch zur Arbeit, der Bus kam. Als ich nach zehn Stunden wieder vorbeikam, hing der aber immer noch da. Da hab ich ihn abgemacht mit meinem Schlüssel. Dieses Erlebnis: Das war wie ein tiefes Durchatmen, ich hab mich wahnsinnig gefreut, das war so eine Reinigung von diesem geistigen Dreck, die ich richtig gespürt habe.
Seitdem sind Sie regelmäßig mit Putzzeug und Schaber bewaffnet unterwegs. An wen richtet sich ihre Arbeit?
An die Urheber der Aufkleber ist es ein Signal: Aha, da ist jemand nicht einverstanden. Für die Gleichgültigen heißt es: Man kann eben doch was tun, jeder von uns. Und für diejenigen, gegen die sich die Nazi-Botschaften richten, ist es Solidarität. Diese drei Botschaften sind mir so wichtig geworden.
Sie kommen aus Stuttgart, haben in Berlin als Heilpädagogin gearbeitet. Waren Sie vorher schon ein politisch engagierter Mensch – oder hat das erst mit dieser Arbeit begonnen?
Nein, das war vorher schon. Ich war bei den Blockaden gegen die Raketenstationierung und ich war aktiv bei den Grünen, in Wilmersdorf und später in Zehlendorf, aber irgendwann wurde mir das zu blöd da. Ich habe zu denen gesagt: Wir müssen was machen, das wird doch immer schlimmer hier! Und die haben geantwortet: Mein Gott, du kannst doch die Welt nicht alleine verändern. Das hat mich so wütend gemacht, und da habe ich mich dann lieber auf meine eigene Arbeit konzentriert.
Auf das Wegputzen.
Ja, das wurde mir am Wichtigsten. Am Anfang bin ich nur sporadisch los, mit einem alten Schaber und Pinselreiniger, aber der ist zu ungesund für die Atemwege, deshalb bin ich auf Nagellackentferner umgestiegen. Das wurde dann bald regelmäßiger, ich war ja auch neugierig, wo finde ich noch was? Ich bin immer an den Wochenenden losgezogen, durch ganz Westberlin und später dann auch im Osten der Stadt und in Brandenburg. Das war ein Schock am Anfang, da hab ich Sachen gefunden, unvorstellbar, schon in der S-Bahn. Heute bin ich etwa 25 Stunden die Woche unterwegs, wenn ich in Berlin bin, wenn ich auf Reisen bin, auch mehr.
Wie wählen Sie Ihre Routen in der Stadt aus?
Das geht nach Gespür, manchmal habe ich einfach so ein Gefühl, dass ich da hinmuss. Und wenn ich einmal an einem Ort war, will ich natürlich auch wieder hin, um zu kontrollieren. Jetzt am Montag, da war ich in Potsdam-Waldstadt. Da war ich lange nicht mehr und dachte, du musst mal wieder gucken. Ich war sprachlos, so viel habe ich gefunden.
Wo in Berlin finden Sie im Moment am meisten?
Rudow ist schlimm, schon seit Jahren, das hat in den letzten Wochen etwas nachgelassen, aber das kann auch schnell wieder anders sein. Ganz schlimm ist es auch in Pankow, in Buch, das ist wirklich ekelhaft. Und Lichtenberg, aber da wird es etwas weniger. In Wannsee, wo ich wohne, hat es sich gebessert, in Zehlendorf oder Teltow auch.
Wie reagiert Ihr Umfeld auf Ihren Aktivismus, Ihre Freunde und Familie?
Durchwachsen, sehr durchwachsen. Ich war zu Besuch bei meiner Schwester in Süddeutschland, da hat sie zu mir gesagt: Bei uns ist nichts, bei uns musst du nicht gucken. Dann kam ich von einem Spaziergang zurück mit einem Sticker von der DVU. Wo ich den gefunden habe, wollte sie wissen. Bei euch an der Auffahrt, habe ich gesagt, da war sie aber erschrocken. Von anderen Seiten gab es auch Verständnis, aber immer mit ein bisschen Mitleid. So nach dem Motto: Die hat wohl nichts Besseres zu tun. So ein Engagement, das ist anstrengend für die Leute.
Sie haben sich davon aber nicht beirren lassen.
Das konnte ich gar nicht. Je mehr ich gefunden habe, desto verbissener wurde ich. Ich fing dann ja auch an, mich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, diese Botschaften auseinanderzunehmen. Ich sammle alle Aufkleber, die ich unbeschädigt entfernen kann, mehr als 130.000 sind das mittlerweile. Ich glaube, ich habe das umfangreichste Archiv in Deutschland. Der Verfassungsschutz ist bestimmt schon neidisch, aber die kriegen von mir nichts.
Es kommen aber nicht nur mitleidige oder irritierte Reaktionen – auf ihren Putztouren werden Sie auch immer wieder angegriffen und bedroht.
Den Nazis bin ich ein rotes Tuch, die wollen mich weghaben. In Rudow haben die mal Sticker geklebt: Wenn Schramm abkratzt, stört uns das nicht wirklich, stand darauf und ein Bild von mir. Das ist eine versteckte Morddrohung, das habe ich angezeigt, aber das kümmert ja niemanden. In Buch, da bin ich angegriffen worden von einem bekannten Nazi, im letzten Juni. Der hat mir aufgelauert und mich verfolgt, mich geschubst und getreten, wollte mir meine Putztasche wegnehmen.
Wie haben Sie reagiert?
Ich hab Leute um Hilfe gebeten, aber keiner hat etwas gemacht. Dann hab ich die Polizei gerufen, aber er auch, und die Polizei ist auf seinen Anruf hin gekommen. Er hatte angegeben, eine geistig verwirrte Frau würde hier rumrennen und ihn anschreien. Das stimmte einfach nicht, ich hab gar nicht mit dem gesprochen, ich hab nur gesagt: „Verpiss dich!“ Dem Polizisten habe ich gesagt, dass der mich angegriffen hat, weil ich hier Sticker entfernt habe. Da sagt der Polizist zu mir, das dürfe ich doch gar nicht, das sei Sachbeschädigung. Da habe ich gedacht, mit so was geb ich mich nicht ab, und bin gegangen. Ich war so wütend. Aber in Heinersdorf bin ich gleich wieder aus der S-Bahn und hab wieder angefangen zu putzen. Dann ging es mir gleich wieder besser.
Sie sind mittlerweile eine bekannte Person und erhielten für ihr Engagement zahlreiche Preise. Die Bundesverdienstmedaille, die Sie 1996 bekamen, haben Sie aber 2000 wieder zurückgegeben.
Bei der Verleihung hab ich gesagt, das ist wohl das erste Mal, dass jemand für Sachbeschädigung ausgezeichnet wird. Das konnte ich mir nicht verkneifen. Aber ich wusste gleich, dass ich diese Medaille nicht möchte. Nur dachte ich, wenn ich die gleich ablehne, interessiert das doch keinen, ich warte lieber auf einen passenden Moment, an dem ich die zurückgeben kann. Und dieser Moment kam im November 2000, als Bundeskanzler Schröder zum Aufstand der Anständigen aufforderte und gleichzeitig das frühere SS-Mitglied Heinz Eckhoff das Bundesverdienstkreuz verliehen bekam. Ich hab mich nicht mehr eingekriegt und dann meine Medaille zurückgegeben. Da hab ich auch viele Briefe bekommen von Leuten, die das toll fanden.
Fühlen Sie sich genug unterstützt von der deutschen Öffentlichkeit?
Ich bekomme schon viel Zuspruch von Leuten, die mich ermuntern und mir danken, wobei die Reaktionen aus anderen europäischen Ländern oft besser sind als aus Deutschland. Aber was die Politik angeht, da fühle ich mich, auf gut Deutsch gesagt, verarscht.
Warum?
Ich bekomme keine öffentliche Förderung, muss alle meine Materialien selbst bezahlen, und dann werde ich auch noch immer wieder kriminalisiert und in meiner Arbeit behindert, weil sich irgendjemand gestört fühlt. Und diese Heuchlerei, die geht mir auf die Nerven. So etwas wie diese Kampagne „Tolerantes Brandenburg“ – da könnte ich kotzen, alles so tolerant, aber sie schaffen es nicht mal, die Hakenkreuze auf ihren eigenen Verwaltungsgebäuden zu entfernen. Und wenn ich das mache, gibt es eine Anzeige. Viel zu viele Leute sind auch einfach gleichgültig, die wollen das nicht sehen, die tun so, als gäbe es das nicht.
Seit 1995 haben Sie eine eigene Ausstellung unter dem Titel „Hass vernichtet“, in der Sie die von ihnen entfernten Propagandamittel zeigen.
Ja, das mache ich, damit die Leute hingucken. Und am Ende der Ausstellung, da hängt ein Spiegel, damit die Leute sich selbst in die Augen gucken müssen.
Wie kamen Ihnen die Idee zu der Ausstellung?
Das war nach der Wende, da hab ich ständig diese Busfahrten ins Umland gemacht, ich wollte das ja kennenlernen. Da war ich in Neuruppin, die anderen sind natürlich gleich alle ins Café, aber ich bin los. Da musste ich auch nicht lange suchen: An einer dieser alten DDR-Bushaltestellen war ein Bild von einem Nazi-Skin, überlebensgroß, mit Hakenkreuzen überall. Und die Leute stehen drumherum und kümmern sich nicht. Da hab ich mir geschworen: Jetzt mache ich eine Ausstellung, ich tunke die Leute mit der Nase da rein.
Die Ausstellung besteht aber nicht nur aus Bildern der Schmierereien, sondern auch aus Arbeiten von SchülerInnen, die sich mit ihren Funden auseinandersetzen.
Als ich zum ersten Mal die ganzen Bilder, die ich mir für die Ausstellung herausgesucht hatte, bei mir zu Hause auf dem Boden hingelegt hatte, da schnürte es mir den Magen zu. So viel Schlimmes, furchtbar. Ich war nicht zufrieden damit. Ich hatte aber gerade einer Kirchengemeinde Bilder von mir überlassen, die haben die in einem Workshop verändert und aus den schlimmen Botschaften ganz tolle, neue Sachen gemacht. Da hab ich diese Bilder mit dazu auf den Boden gelegt, und gleich ging es mir besser.
Mittlerweile bieten Sie diese Workshops regelmäßig an. Wie reagieren die Jugendlichen?
Toll ist das, ganz toll, die sind so gut dabei und machen wirklich ganz wunderbare Sachen aus diesen furchtbaren Schmierereien. Die schreiben dann die Sprüche um und verfremden die Symbole, und malen ihre eigenen Sachen dazu. Einmal, da war ich in Templin in der Kirchengemeinde, da haben wir das den ganzen Tag gemacht, mit 70 Leuten. Das war so schön. Selbst die harten Punkies, mit den grünen Mähnen, die haben eine Begeisterung gezeigt, so süß! Am Ende, da umarmte mich eine 16-Jährige plötzlich, um mir zu danken. Überlegen Sie mal, so eine Reaktion, das ist wunderbar.
Bekommen Sie überall so positive Reaktionen?
Von den Kindern und Jugendlichen schon, von den Erwachsenen, na ja. Einmal hat mich eine Lehrerin nach Sachsen an ihre Schule eingeladen. Die wollte das unbedingt, aber der Schulleiter hat Hausverbot gegen mich verhängt, einfach so. Auch meine Ausstellung wollen viele nicht zeigen. Aber da bettel ich heute nicht mehr, das hab ich nicht mehr nötig.
Was wünschen Sie sich als Aktivistin von der Gesellschaft?
Dass mehr hingeguckt wird, man kann doch nicht immer so gleichgültig sein! Und wenn dann mal demonstriert wird, ist das oft viel zu zahm. Vorletztes Wochenende war ich in Rudow und habe aus dem Bus heraus gesehen, dass da eine NPD-Kundgebung stattfindet. Da habe ich einen Mitstreiter angerufen, der soll mal schnell im Internet nachgucken. Dann hat der mir gesagt, ganz in der Nähe sei eine Kundgebung zum Tag gegen Rassismus. Also ich dahin. Als ich da ankomme, sehe ich, fast alle sind über 70, ich hab schon gesagt, das ist wohl die Alzheimer-AG. Wir stehen da herum, die Nazis um die Ecke. Ich sage immer wieder, wir müssen da doch hin! Aber nein, wir blieben an der Kreuzung, außer Sichtweite der Nazis. So bequem, und ich muss sagen, das finde ich auch feige.
Haben Sie denn auch selbst schon an Blockaden von Naziaufmärschen teilgenommen?
Natürlich! Da kenn ich nichts, da mache ich alles mit. Einmal, in Halbe, da hatte die Polizei uns gekesselt und wollte uns nun abführen. Die jungen Mädchen fingen an zu weinen, da bin ich vorneweg und hab mich als Erste abführen lassen. Aber als ich fertig war, bin ich gleich noch mal rein in den Kessel, um den anderen weiter Mut zu machen.
Sie machen diese Arbeit nun seit fast 30 Jahren – haben Sie mal ans Aufhören gedacht?
Es ist schon oft anstrengend. Wissen Sie, wann ich das letzte Mal im Urlaub war? 1999. Ich meine, ich komme ja viel rum, ich war schon in Italien, in Finnland, aber das ist ja kein Urlaub. Aber aufhören, das kann ich nicht, ich gehe raus bei jedem Wetter und egal, wie es mir geht. Was soll ich denn auch machen, es wird ja nicht weniger. Und es ermutigen mich ja auch immer wieder Leute. Neulich habe ich erst einen Brief bekommen von einer jungen Türkin, die in der Schweiz lebt. Die hat mir geschrieben, wie schlimm die Situation dort ist, wie viel sie angefeindet wird, und dann hat sie gesagt, wie begeistert sie von meiner Arbeit ist. Geben Sie nicht auf, hat sie geschrieben, da war ich natürlich gerührt.