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Archiv-Artikel

Die Unschuld vom Lande

Scheibe-Wischer (II): Wie ein gerichtsbekannter Neonazi um seine bedrückende Biografie herumkommen wollte

Alle Jahre wieder: Kurz vor Schluss gewährt taz-Justiziar und Rechtsanwalt Peter Scheibe Einblicke in die Abgründe des Presserechts.

Eingeladen war der Besuch nicht, dafür umso zahlreicher erschienen: Da der Verdacht bestand, die Geburtstagsfeier eines Neonazis in einem niedersächsischen Dorf diene als getarnte Ersatzveranstaltung für ein verbotenes Rechtsrockkonzert, kam die Polizei zur Razzia. In ihrem Bericht darüber erwähnte die taz nord, das Geburtstagskind mit vollem Namen – und dass es als 19-Jähriger mit einem Mittäter einen Obdachlosen erschlagen hatte, was ihm 1992 die Verurteilung zu einer sechsjährigen Haftstrafe einbrachte.

Der Kläger wollte der taz nun die Nennung seines Namens im Zusammenhang mit der früheren Straftat untersagen lassen. Sein Vertreter vor Gericht war der mindestens ebenso einschlägig bekannte Rechtsanwalt Jürgen Rieger.

In der Tat gilt die Faustregel, dass die Namensnennung bei einer Straftat nur möglich ist, sofern ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Verurteilung besteht. Weiterhin ist abzuwägen zwischen den Interessen des Betroffenen, von solcher Berichterstattung verschont zu bleiben, und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit.

Dahinter steht der sogenannte Resozialisierungsgedanke, die Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft nicht zu behindern. Auch für sich wollte der Neonazi dieses Privileg reklamieren und verwies darauf, vorzeitig aus der Haft entlassen worden zu sein und an mehreren sozialtherapeutischen Kursen teilgenommen zu haben. Außerdem habe er für zwei Kinder zu sorgen. Unabhängig davon, welche politische Einstellung jemand hat, so Rechtsanwalt Rieger weiter, „rechtfertigt dies nicht, den Kläger nach 15 Jahren an den Pranger zu stellen“. Die notorisch gerichtsbekannte Biografie des Neonazis lässt da ganz klare Worte – oder schlechter – Taten sprechen. Dass er nach seiner Haftentlassung bis zu deren Verbot im Jahr 2000 Leiter der „Sektion Nordmark“ von „Blood and Honour“ gewesen ist, bestreitet er selbst zwar, gibt aber zu, bei dieser rechtsextremen Vereinigung aktiv gewesen zu sein. Darüber hinaus verurteilte ihn 2005 das Landgericht Flensburg wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe. Derzeit betreibt er laut Eigenwerbung „Norddeutschlands größten Szeneladen“. Bandnamen wie „Endstufe“, „Hauptkampflinie“, „Kraftschlag“ und „Störkraft“ im Musiksortiment sprechen für sich. Ein Urteil in dem gegen die taz angestrengten Prozess musste nicht mehr ergehen, da das Landgericht Hamburg bereits in einem Parallelverfahren klare Worte gefunden und den Neonazi abgewiesen hatte: „Der Kläger hat sich nach Verbüßung seiner wegen des Tötungsdelikts verhängten Strafe nicht in die Anonymität zurückgezogen. Er nimmt vielmehr in der rechtsextremistischen Szene eine Stellung ein, die über die bloße Mitgliedschaft in diesem Milieu deutlich hinausgeht.“

Und selbst den Vorwurf der „Gesinnungsjustiz“ konnte der Neonazi sich sparen. Denn das zuständige Verwaltungsgericht hatte den Polizeieinsatz bei seiner „Geburtstagsfeier“ für rechtswidrig erklärt.