: „Massenmörder wäre kein Problem“
MEHMET ALI TOPRAK, 39, ist Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland und grüner Lokalpolitiker in Recklinghausen.
taz: Herr Toprak, in dem ARD-Tatort „Wem Ehre gebührt“ ging es um sexuellen Missbrauch in einer alevitischen Familie. Ihre Gemeinde hat deswegen eine Anzeige wegen Volksverhetzung gestellt. Warum?
Ali Ertan Toprak: Uns Aleviten ist diese Situation sehr unangenehm, wir möchten nicht in solch einem Zusammenhang in der Öffentlichkeit stehen. Wir behaupten überhaupt nicht, die besseren Menschen zu sein. Aber mit diesem „Tatort“ werden Vorurteile aus der Türkei bedient, mit denen die Aleviten seit Jahrhunderten zu kämpfen haben.
Was sind das für Vorurteile?
Da die Aleviten früher in den dörflichen Strukturen gemeinsam ihre Glaubensrituale abhielten, also Mann und Frau im gleichen Raum, wird ihnen von fundamentalistischen Muslimen vorgeworfen, Inzest mit ihren Töchtern und Schwestern zu betreiben. Diese Anschuldigungen sind bis heute im fundamentalistisch-sunnitischen Glauben fest verankert.
Gehören solche Sendungen nicht zu der Kunst- und Meinungsfreiheit?
Die Aleviten respektieren die Presse- und Meinungsfreiheit und sind gegen Verbote jeder kultureller Art. Aber diese Werte dürfen trotzdem nicht die Würde einer Minderheit verletzen.
Krimis handeln von Gewalt und Verbrechen. Warum sollte ihre Glaubensrichtung davon ausgenommen werden?
Es geht nicht darum, dass Aleviten als Kriminelle gezeigt werden. Man hätte im Film auch einen Aleviten als Massenmörder darstellen können, kein Problem! Es geht um den Inzest, der gezeigt wurde. Seit Jahrhunderten kämpfen wir gegen diesen Vorwurf.
Vor dem Film wurde eingeblendet, dass die Geschichte fiktiv sei. Ist das nicht ausreichend?
Nein. Warum konnte es nicht eine normal muslimische Familie sein? Warum werden Aleviten im öffentlich-rechtlichem Fernsehen mit dem Inzestvorwurf in Verbindung gebracht?
Die Regisseurin wollte zeigen, dass es auch in einer liberalen, muslimischen Familien zu Gewalt kommen kann.
Aber warum unbedingt der Vergewaltigungsvorwurf? Noch in der jüngeren Vergangenheit wurde von strengen Muslimen dieser Vorwurf für Pogrome gegen uns genutzt.
Es geht hier um einen Konflikt aus einem fremdem Kulturkreis. Ist es nicht zu viel verlangt, dass die Regisseurin sich damit auskennen soll?
Natürlich kann nicht jeder Zuschauer diese Hintergründe kennen. Aber die Filmemacher hätten hier sauberer recherchieren müssen. Wenn sich jemand mit dem Konflikt zwischen Sunniten und Aleviten beschäftigt, kennt er auch den Inzestvorwurf. Die Regisseurin hat diese Problematik bewusst in Kauf genommen.
Mit ihrem Protest kommen Sie Kritikern entgegen, die behaupten, Muslime seien sehr schnell beleidigt.
Daher reagieren wir besonnen und friedlich. Wir möchten nicht, wie in vielen Medien berichtet, mit der islamischen Bewegung in Verbindung gebracht werden. Derzeit erinnert es eventuell einige Deutsche an die Mohammed-Karikaturen. Aber von solchen Ausschreitungen haben wir uns immer distanziert.
INTERVIEW: CIGDEM AKYOL