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Archiv-Artikel

Das Gedächtnis der Gesten

Ein Aufstand in Paris 1871: Das ist in Peter Watkins’ Film „La Commune“ der Auftakt einer Reflexion über Gleichberechtigung und Rassismus. Die Filmreihe „History will repeat itself“ im Arsenal sucht nach der Bedeutung der Geschichte für heute

VON MADELEINE BERNSTORFF

Das Mittel der „szenischen Rekonstruktion“ findet sich inzwischen in fast jedem Fernsehbeitrag, der von Geschichte handelt. Mal sehen wir nur eine kräftige oder zitternde Hand, die etwas unterschreibt, mal besonders böse Stiefel, die, mit bedrohlichem Hall versehen, uns eine Atmosphäre von Macht, Ohnmacht und Angst näherbringen sollen. Das beträchtliche Misstrauen gegenüber diesem Stilmittel, mit dem die Lücken des Archivmaterials gestopft werden, scheint gerechtfertigt, und zugleich verwundert die Plumpheit dieser gefühls- und ideologieproduzierenden Mittel. In Zeiten der postpostmodernen Skeptizismen ist der Historienfilm, der die Historizität seiner eigenen Perspektive verleugnet und verschleiert, seltener geworden.

Die Verfremdung offenbart sich: „Ein Geschöpf der Gegenwart, dringt der Film als Fremdling in die Vergangenheit ein“, wie es Siegfried Kracauer formulierte. Warum dann nicht gleich alles inszenieren? Und mit dieser Inszenierung die mediale Vermittlung von Erinnerung tiefer und komplexer reflektieren, als es das „reale“ Dokument vermag?

Eine Filmreihe im Kino Arsenal begleitet die letzten Tage der Ausstellung „History will repeat itself“ in den KunstWerken. Das Reenactment zeigt sich hier – wie in der Ausstellung – in unterschiedlichen Facetten als eine Repräsentationsform, die auf das Ungenügen medialer, dokumentarischer Spektakel verweist. Oder darauf, dass Dokumente eben Wirklichkeit genauso erzeugen, wie sie sie abbilden. Damit sind sie schon längst zum wunderbaren Spielball für alle Regimes der Welt geworden.

In seinem Film „Nicht löschbares Feuer“ (1968/1969) aus der Zeit der Proteste gegen den Vietnamkrieg verlässt der Regisseur Harun Farocki den Bereich der Anhäufung von Gräuelbildern, die die Opfer nur weiter viktimisieren, indem er auf seinem Arm eine brennende Zigarette ausdrückt. Zu dieser Zigarette – sie ist etwa 400 Grad heiß – können wir uns ins Verhältnis setzen und zu einer abgefackelten toten Ratte ebenfalls. So bekommen wir eine Ahnung, was die 3.000 Grad heißen Napalmverbrennungen bedeuten. Dass dieser Film mit seiner Frage nach der Verantwortung der Forscher, Ingenieure und Arbeiter bei DOW Chemical in den USA nicht zu sehen war, bestürzte die Filmemacherin Jill Godmilow. 1999 reinszenierte sie „Nicht löschbares Feuer“ unter dem Titel „What Farocki Taught Us“.

TV der Kommunarden

Peter Watkins’ knapp sechsstündiger Film „La Commune“ (1999) über die Tage der Pariser Commune von 1871 beruht auf einjährigen Recherchen, zum Teil selbst geschriebenen Dialogen und der eigenen politischen Praxis der über 200 beteiligten Laien und SchauspielerInnen. Sie debattieren über das politische und soziale Engagement der Figuren, die sie vertreten. Es geht darum, wie sich Prinzipien der Selbstorganisation und Kollektivität – ebenso wie die Widersprüchlichkeiten der Kommunarden – angemessen zeigen lassen. Zusätzlich werden zwei – historisch natürlich unmögliche – Fernsehsender in die Handlung eingeführt: das staatstragende Versailles-TV und das selbstorganisierte Kommune-Fernsehen, und damit wird die Möglichkeit einer Alternative zur – wie sie Watkins nennt – totalitären „Monoform“ der Medien verhandelt.

Watkins’ Geschichtskonzept verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Pariser Aufstand wird nicht als die Geschichte seines Scheiterns gezeigt, sondern als Beginn einer Reflexion über Arbeitslosigkeit, Rassismus und Gleichberechtigung. So bezieht sich „La Commune“ etwa mit den Figuren algerischer Kommunarden auf den Maghreb und lenkt damit den Blick auf die gleichzeitig mit der Pariser Commune stattfindenden Berber-Aufstände und darüber hinaus auf heutige Migrationen.

Henker und Opfer

Dem kambodschanischen Filmemacher Rithy Panh gelingt mit „S 21 – La machine de mort khmère rouge“ (2002) eine Konfrontation von Henkern und Opfern der Roten Khmer. Zwischen 1975 und 1979 wurde fast ein Drittel der kambodschanischen Bevölkerung ausgelöscht. In dem „Sicherheitsbüro“ S 21 in Pnom Penh wurden etwa 17.000 Menschen gefoltert. Zwei Künstler, die in diesem Lager festgehalten wurden, und eine Gruppe von damals jugendlichen Peinigern treffen aufeinander.

Dem Film gingen drei Jahre Arbeit voraus. Es sollte kein Tribunal sein und keine Therapie: „Es ist keine Psychoanalyse, sondern der Versuch, zu verstehen, wie die Mechanik des Genozids funktioniert. Ganz im Gegensatz zur Psychoanalyse wollte ich keine Gefühle. Ein Film kann eben nicht alles sagen: Handlungen, Gesten, Gefühle. Ich wollte das Gedächtnis der Gesten filmen, wie bei diesem Wärter, der völlig mechanisch diese Gesten der Vergangenheit ausführt. Mein Film bleibt eine kinematografische Arbeit, aber er produziert Zeugenschaft“, sagt Rithy Panh.

Die Erinnerung, die nicht gewollt wird: Darum geht es in Anri Salas Video „Intervista – Finding the Words“ (1998). Die Arbeit des Künstlers beruht auf dem Fund eines zwanzig Jahre alten 16-mm-Films, in dem die Mutter des Filmemachers als Führerin der kommunistischen Jugendorganisation Albaniens eine Rede hält. Die Tonspur fehlt, Salas Mutter hilft ihm nicht, und so rekonstruiert er ihre Worte mit Hilfe eines Lippenlesers. Das erschütterndste Dokument in seinem Film sind jedoch die Aufnahmen von einem alten Ehepaar, ehemaligen kommunistischen Funktionären, die in einer winzigen Kammer leben.

„History will repeat itself“: Eröffnung am 2. 1. im Arsenal-Kino mit „Oktajbr – Oktober“ von Sergej M. Eisenstein, UdSSR 1927, und einer Einführung von Gabriele Horn, 21 Uhr. Weiteres Programm unter: www.fdk-berlin.de/de/arsenal/programm.html Die Ausstellung „History will …“ in den Kunstwerken geht bis zum 13. 1.