: Gebt uns die Kugel
Der Ausstieg aus der Atomkraft ist beschlossen. Die ehemalige Kernforschungsanlage Jülich ist ein Beispiel dafür, wie sorglos lange mit der Technologie umgegangen wurde. Störfälle oder Entsorgung – die Technikgläubigkeit kannte keine Grenzen. Unser Autor und Fotograf Andreas Langen schildert das Leben mit der Anlage in seiner Heimatstadt Jülich und berichtet über Whistleblower und den Weg in die Beinahekatastrophe
von Andreas Langen
Ich bin in Jülich aufgewachsen, einem Nest am Niederrhein, das niemand kennt. Doch als ich gerade 14 geworden war, im Frühjahr 1978, wäre Jülich um Haaresbreite weltberühmt geworden – so berühmt wie Tschernobyl und Fukushima. Die Haaresbreite, um die es dabei ging, war die eines Risses in einem Wasserrohr. Das defekte Wasserrohr war Teil einer großen Maschine. Die Maschine war ein Teil der Kernforschungsanlage Jülich. Die Kernforschungsanlage aber war mehr als ein Teil der Stadt. Sie war ihr heimliches Herz.
Und wie das so ist mit ernsthaften Herzproblemen: man will sie nicht wahrhaben. Das aber kann sich bitter rächen, noch Jahrzehnte später. Auch davon handelt diese Geschichte.
Nicht immer hatte Jülich so viel Glück. An einem Nachmittag im November 1944, als das nukleare Armageddon noch im Probestadium war, kam der konventionelle Weltuntergang über das Städtchen. Die alliierten Bomber brauchten keine Stunde, von hundert Jülicher Häusern blieben zwei stehen.
Nach dieser Tabula rasa hatte es der Wiederaufbau leicht, seine Mission zu erfüllen: eine praktische, leicht befahrbare Siedlung herzustellen, für Bewohner, die knitterfreie Nyltestmode trugen, samstags ihre Autos wuschen, als gute Katholiken CDU wählten und an die Verheißungen der Zukunft glaubten.
Und diese kam tatsächlich, ab 1956 in denkbar handfester Gestalt: die Kernforschungsanlage entstand. Diese KFA bedeutet Tausende Arbeitsplätze, Hunderte besetzt mit brillanten Köpfen aus aller Welt. Es war die Zeit, als Ford atomgetriebene Autos plante, als Atom-U-Boote und -Flugzeugträger den freien Westen verteidigten und in Jülich gleich drei Atomreaktoren errichtet wurden. Die Starfighter aus dem nahen Fliegerhorst Nörvenich donnerten übers Land, um es den Russen zu zeigen, samstags um zwölf Uhr mittags heulten übungshalber die Luftschutzsirenen. Jülich war auf der Siegerstraße.
1978 hatte ich davon so viel Ahnung, wie 14-Jährige halt von Zeitgeschichte, Kernphysik und Kalten Kriegen Ahnung haben. Atomenergie? Das waren doch diese komischen Strahlen, die den Comic-Helden Hulk so grün gemacht hatten. Dessen Abenteuer fand meine Mutter zu brutal, ich las die Hefte heimlich bei meinem Nachbarn.
So vergingen die Nachmittage, auch der 13. Mai 1978, ein Samstag. Am Abend war ich wieder daheim, nach dem Essen kam Rudi Carrells Quizshow „Am laufenden Band“. Draußen war es kalt und regnerisch, und das am Pfingstsamstag. Nach dem Fernsehen putzte ich mir die Zähne, schaltete die Beleuchtung meines Aquariums aus und ging schlafen. Alles sah nach einem öden Wochenende aus.
Die Konstruktion galt als idiotensicher
Ein paar Kilometer weiter in der KFA hatten ein paar Leute alles andere als Langeweile. Die Nachtschicht rätselte über das Verhalten des Atomversuchsreaktors (AVR). Ein technischer Defekt hatte tagsüber zur Selbstabschaltung der Maschine geführt. Die Konstruktion galt als idiotensicher: Selbst wenn alle Kühlsysteme ausfielen, konnte eine Kernschmelze gar nicht eintreten. Das hatten die Operateure in Jülich bereits mehrfach erprobt: alle Kühlsysteme ausschalten – und statt eines Unfalls passierte beim AVR gar nichts.
„Inhärent sicher“ ist das Zauberwort der Verfechter von Hochtemperaturreaktoren; in Jülich ist es so tief im kollektiven Bewusstsein verankert, dass noch vor Kurzem selbst Lokalpolitiker der Grünen Stein und Bein schworen, dieser Reaktor könne nie ernsthaft gefährlich werden. Am Pfingstsamstag 1978 aber bockte das turmhohe Gerät. Trotz aller Versuche ließ es sich nicht wieder hochfahren. Dass sich direkt über dem nuklearen Feuer im Reaktorkern ein Riss in einer Dampfleitung gebildet hatte, konnten die Ingenieure nicht sehen.
Aus dem Riss schoss Wasserdampf. Wasser im Jülicher Reaktor aber bedeutet höchste Gefahr. Es kann bei Kontakt mit den grafithaltigen Brennelementen zu hochexplosivem Wasserstoff plus Kohlenmonoxid werden. Auf ähnlichem Weg sprengte sich im März 2011 das AKW Fukushima selbst in die Luft.
Auch in Jülich hätte der Reaktor eine solche Knallgasexplosion nicht überstanden. Ein Sicherheitsspezialist der KFA hatte kurz zuvor bei einem Brennelemente-Test erlebt, wie das im Kleinen aussieht. Im Juni 1977 passierte eine Panne bei einem Verbrennungsexperiment. Das Wasser und der heiße Kohlenstoff reagierten wie im Lehrbuch – mit einer Wasserstoffexplosion. „Den Knall habe ich heute noch im Ohr“, sagt der Jülicher Wissenschaftler.
Eine Arbeit am Rande der Apokalypse
Dass dem AVR die Katastrophe erspart blieb, war pures Glück. Der enorme Dampfdruck von 70 bar vergrößerte das Leck beständig. Am Ende des zehntägigen Störfalls, der am Pfingstsamstag begann, schossen über tausend Liter Wasser pro Stunde in den Reaktor. So werkelten die Männer, ohne es zu ahnen, am Rande der Apokalypse.
Währenddessen lag das Jülicher Land in tiefem Frieden. Um Mitternacht begann der kirchliche Festtag, von dem es im Evangelium heißt: „Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und setzten sich auf einen jeden von ihnen.“
Während der Heiligen Messe sah ich mich in der Kirche um. Die üblichen Leute an den üblichen Plätzen, etliche von ihnen KFAler. Viele dieser Wissenschaftler trugen Cordhosen und eckige, metallgefasste Brillen, dazu ernste Gesichter. Frohe Botschaft? Vielleicht auf dem Papier. In der Kirche lacht man nicht.
Am strengsten wirkte wie immer der ältere Herr, der bolzengrade und perfekt gescheitelt auf seinem Stammplatz in der ersten Bank saß: Leo de Jong, Redaktionschef der Jülicher Volkszeitung. Sein berufliches Verhältnis zur Kernforschungsanlage war so unerschütterlich wie sein Katholizismus. „In Sachen KFA war die Jülicher Volkszeitung eine reine Hurra-Postille, leider“, sagt de Jongs Nachfolger Hartmut Prüss heute rückblickend, „da war man von lauter Jasagern umgeben, die vor allem über Betriebssport und Richtfeste berichteten.“
Ein Blick ins Archiv zeigt, wie präzise diese Erinnerung ist. Am Tag nach dem Pfingstwochenende 1978 erscheint in der Volkszeitung ein Beitrag über ein Richtfest in der KFA: ein sonniges Baustellenfoto, dazu ein Respekt einflößender Text über thermonukleare Zukunftsaussichten.
Im überregionalen Teil derselben Ausgabe kommt ein Artikel hinzu, der das Thema Kernkraft von allerhöchster Stelle kommentiert. Kein Geringerer als Andrej Sacharow, russischer Atomphysiker und Friedensnobelpreisträger, liest der westlichen Welt die Leviten: Das „Überleben des Westens“ stehe auf dem Spiel, er warne vor „Kernkraft-feindlicher Stimmung“.
Jülich kann er damit nicht gemeint haben. Wie felsenfest man hier zur Atomkraft steht, hatten meine Schwester Ruth und ihre Klasse gerade erst belegt, mit einer aufwendigen Studie unter dem Titel „Dokumentation zur friedlichen Nutzung der Kernenergie“. Fast 400 Passanten, Lehrer, KFA-Angehörige und Lokalpolitiker hatten den Mädchen eigens erstellte Fragebögen beantwortet. Die Resultate dokumentieren ein ungebrochenes Vertrauen in die Kernenergie. „Nach menschlichem Ermessen sind keine Gefahren vorhanden“, „für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle wird man eine sichere Lösung finden“, und „durch die Kernenergie wird der Lebensstandard erhöht“, halten die Schülerinnen fest. Fast enttäuscht konstatieren sie, dass „76 Prozent der jüngeren Befragten meinen, man käme in Zukunft ohne Kernenergie aus“.
Alle befragten Lehrer und Politiker – und selbstverständlich die KFA-Mitarbeiter – sind Anhänger der Kernkraft; mehr als 80 Prozent der Passanten fühlen sich wohl in ihrer Nachbarschaft. Über die Minderheit von gerade mal 12 Prozent, denen es anders geht, schreiben die Autorinnen: „Wir nehmen an, dass sie noch nicht genügend informiert sind.“ Diesem misslichen Umstand helfen die Gymnasiastinnen gleich selber ab und schreiben: „Die von der KFA Jülich verfolgte Baulinie des Hochtemperaturreaktors erscheint für die Versorgung sowohl mit Elektrizität als insbesondere auch mit Wärme in der dicht besiedelten Bundesrepublik besonders geeignet.“
Tatsächlich räumten Forschung und Politik dem Prinzip Kugelhaufenreaktor oberste Priorität ein. Die KFA steckte ein Drittel ihrer Mittel in die Wundermaschine. Bundespräsidenten, Minister und sogar der Schah von Persien pilgerten zum AVR. Seine Erfinder nannten es den sichersten, umweltfreundlichsten und nützlichsten Reaktor der Welt. Der Clou der Konstruktion sind die Brennelemente: quasi unzerstörbare Grafitkugeln, klein wie Tennisbälle und vor Betrieb ziemlich harmlos. Historische Fotos zeigen AVR-Mitarbeiter, die diese Kugeln aus dem Regal nehmen wie andere Leute Bowlingkugeln im Kegelverein. Der zylindrische Reaktor wird von oben mit vielen Tausenden dieser Kugeln befüllt, unten werden die abgebrannten automatisch entnommen. Da Grafit ein Schmierstoff erster Güte ist, gleiten die Brennelemente wie von allein durch den Reaktor – in der Theorie.
Die Praxis sah anders aus. Um den Betrieb sicher zu machen, war der Reaktor mit Helium gefüllt statt mit Luft. Kein Sauerstoff, nichts Brennbares, sondern ein Edelgas. Dummerweise aber ist Grafit in Luft nicht das gleiche wie Grafit in Helium. Erst die Feuchtigkeit der Luft macht Grafit zum Gleitmittel; ohne diesen Hauch von Wasser wird es rau, fast wie Ton.
Der AVR hatte also einen gravierenden Geburtsfehler: Seine Brennelemente gleiten nicht, sie hakeln. Nüchtern gesagt, eine Fehlkonstruktion. Doch Nüchternheit war noch nie die Stärke der AVR-Freunde. Wer überzeugt ist, die Energieprobleme des Planeten zu lösen, der lässt sich von Banalitäten wie klemmenden Kugeln nicht irritieren. Ein zusätzliches Hindernis für klare Köpfe war Geld, viel Geld. Als der Versuchsreaktor in Jülich 1966 in Betrieb ging, war sein industrieller Nachfolger bereits geplant: der Hochtemperaturreaktor THTR in Hamm. Industrie und öffentliche Hand investierten kräftig, insgesamt etwa vier Milliarden D-Mark.
Angesichts solcher Summen verblassten die Jülicher AVR-Probleme. Nun gut, die Durchlaufzeiten der Brennelemente stimmten nicht. Statt der errechneten sechs Monate kamen manche Kugeln schon nach vier Monaten wieder zum Vorschein. Viele aber kamen deutlich später als geplant, manche erst nach Jahren, etliche blieben für immer verschwunden. Eine lückenlose Zählung gab es nicht.
Andererseits ist Unwissen bekanntlich segensreich. So musste niemand in der KFA schlaflose Nächte haben, wenn der Reaktor ein paar hundert Grad heißer lief als vorgesehen – denn niemand wusste es. Wie auch? In einen Mahlstrom aus radioaktiven, weiß glühenden Kugeln kann man kein Thermometer stecken. Man kann es nur darin verheizen. Daher wurde die Temperatur im AVR lange Zeit lediglich berechnet. 1974 war seine Betriebstemperatur zwar absichtlich erhöht worden – ein Jahr nach der ersten Ölkrise wahrscheinlich mit dem Hintergedanken, Verfahren wie Kohlevergasung zu testen. Die Maschine war jetzt auch offiziell der heißeste Atomreaktor der Welt, wie seine Betreiber stolz verkündeten.
Jülicher Lösung: Messungen wurden einfach eingestellt
Die ersten exakten Daten zur tatsächlichen Temperatur aber kannten sie erst zwölf Jahre später, und diese Daten trieben den Verantwortlichen den Schweiß auf die Stirn. 1986 beschickten sie den Reaktor mit Kugeln, in denen Schmelzdrähte steckten. Die stabilsten lösten sich bei circa 1.300 Grad auf, der vermuteten Höchsttemperatur. In einigen Messkugeln aber waren alle Drähte geschmolzen, sodass Fachleute von Temperaturen bis weit über 1.400 Grad ausgehen – statt der geplanten knapp 1.100.
Die übergroße Hitze und das Verklemmen hatten den Grafitkugeln extrem zugesetzt. Sie zerbarsten und wurden zermahlen. Dabei wurde ein Teil ihrer radioaktiven Bestandteile im Reaktorbehälter freigesetzt. Zwar bemerkten das die Betreiber schnell, denn die Radioaktivität des Heliums wurde mehrmals im Jahr gemessen. Im April 1974 stieg die Strontium-Konzentration auf eine Höhe, die jede weitere Messung unmöglich machte. Die Jülicher Lösung, ähnlich wie beim Klemmen der Kugeln: ignorieren. Nach April 1974 wurden die Messungen einfach eingestellt.
Der Glaube an die Segnungen der Kernkraft brachte damals eine Sorglosigkeit hervor, die heute haarsträubend erscheint. So bestand das Dach des AVR zunächst aus simplem Blech. Die Neutronen aus der Kettenreaktion im Reaktorkern sausten in den Jülicher Himmel, wurden durch Luft reflektiert und landeten auf der Anlage und dem umliegenden Wald. „Skyshine“ heißt das Phänomen in der Fachsprache – die bitterböse, unter Umständen Krebs auslösende Variante des Pfingstmythos im Atomzeitalter. In Jülich überstieg diese Strahlenbelastung jahrelang die Grenzwerte bis um den Faktor zehn. Erst als die Landesregierung 1975 damit drohte, das AVR zwangsweise stillzulegen, erhielt der Reaktor eine komplette Abschirmung aus Beton.
In seinem Inneren aber eskalierten die Probleme. An Pfingsten 1978 versuchten die Betreiber, den wegen Feuchtigkeit bockenden Reaktor bei ein paar hundert Grad Kerntemperatur zu trocknen. Dieser Weiterbetrieb beschwor eine Gefahr herauf, die heute mit dem Fachbegriff „Tschernobyl-Effekt“ benannt wird: die unkontrollierbare Kettenreaktion, das nukleare Durchgehen des Reaktors. Der Effekt kommt in Gang, wenn sich mehr als 200 Liter Wasser zwischen den heißen Grafitkugeln befinden. Solche Mengen hielten die Jülicher Bedienmannschaften für unvorstellbar. Nachdem sie Wasser im unteren Teil des Reaktors gefunden hatten, stellten sie einen 25-Liter-Behälter unter ein Ventil. In wenigen Sekunden schossen 400 Liter hochradioaktives Wasser aus der Öffnung. Dennoch blieb der Reaktor in Betrieb, das Leck wuchs, immer mehr Wasser drang ein. Am 21. Mai 1978 erreichte der ansteigende Pegel die Kühlgebläse, die Rotoren soffen ab und blieben stehen. Am 23. Mai, zehn Tage nach Beginn des Wassereinbruchs, wurde endlich der Dampferzeuger abgeschaltet, aus dem das Wasser stammte. Jetzt waren alle Kühlsysteme außer Betrieb.
Es blieb nur die Hoffnung, dass der Reaktor sich irgendwann selbst abschalten würde. Seit dem Ausfall der Gebläse aber geschah das Gegenteil. Drei quälende Tage lang stieg die Temperatur des Reaktors kontinuierlich an. Wie den hilflosen Bedienmannschaften zumute gewesen sein muss, kann man nur vermuten.
Dass die dramatischen Vorgänge um das AVR überhaupt publik wurden, ist vor allem einem Mann zu verdanken, der fast sein ganzes Berufsleben in der KFA verbracht hat: Dr. Rainer Moormann, Spezialist für Reaktorsicherheit und lange Jahre ein Befürworter der Kernenergie. Erst im Jahr 2005, nach fast 30 Jahren im Dienst, kamen ihm ernste Bedenken. „Um die Sache zu retten, wies ich intern auf die technischen Probleme hin. Das wurde als Sabotage empfunden, und man hat mich ausgebootet“, berichtet Moormann.
Ein Whistleblower-Preis für den Skeptiker
Ein zäher, jahrelanger Kampf begann. Der Skeptiker führte seine Untersuchungen gegen vielfachen Widerstand weiter und publizierte 2008 das für den Kugelhaufenreaktor vernichtende Resultat. Dafür erhielt er im Frühjahr 2011 den Whistleblower-Preis der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms. Spätestens seit dieser Anerkennung ist er auch in Jülich zwangsweise gelitten. Der Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich, wie die KFA heute heißt, stellt sich offiziell nicht gegen seinen Angestellten Moormann.
Intern klingt das anders: Verrückt, obsessiv, Nestbeschmutzer wird der Mann geschimpft. Seine Arbeitsgruppe wurde aufgelöst, er selber in eine andere Abteilung versetzt. Dabei hat Moormann nichts weiter getan, als alte, intern längst bekannte Fakten publik zu machen. Ein Kernstück seiner Anklage ist eine Studie des Physikers Prof. Jochen Benecke. Der hatte 1986, kurz nach Tschernobyl, im Auftrag der Landesregierung die nordrhein-westfälischen AKW untersucht. Sein Fazit zum AVR-Störfall von Pfingsten 1978: „Die Jülicher Reaktormaschinisten konnten gar nicht wissen, was sie taten. Und das kann man beim Betrieb eines Kernkraftwerkes niemals durchgehen lassen.“
Beneckes Studie ist bis heute unter Verschluss, doch als er sie 1988 ablieferte, war das Ende des AVR besiegelt. Am 31. Dezember 1988 schaltete Betriebsdirektor Egon Ziermann, feierlich gekleidet in Anzug und Krawatte, im Leitstand des Kraftwerks die Anlage aus. Die ehemalige Zukunftshoffnung der deutschen Atomindustrie war tot.
Damit aber ist die Geschichte des Kugelhaufenreaktors noch lange nicht zu Ende. Die Entsorgung stellt nach dem Störfall ein großes Problem dar, das heute noch einen Untersuchungsausschuss beschäftigt.
In Teil zwei der Geschichte ist nächste Woche mehr über die Schwierigkeiten der Entsorgung zu erfahren.