: Lieber nicht öffentlich bewusstlos
GENDERRAUSCH Weniger Frauen als Männer nehmen Drogen. Warum, das weiß kaum eine Studie – doch unsere Autorin übte sich in Feldforschung
VON SHELLEY MASTERS
Fragt man Getränkehändler in der Hauptstadt, erhält man ungefähr die gleiche Antwort wie im Gespräch mit Drogendealern: „Männer kaufen bei uns ein. Kommt mal eine Frau, dann mit Geld vom Partner. Wenn eine Frau mal groß einkauft, dann zu ihrem Geburtstag oder für Jungesellinnenabschiede.“ Die Alk-Dealer fügen noch hinzu, dass „auch alte Omis“ kämen.
Laut Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung sind von den geschätzten 1,3–1,9 Millionen Alkoholabhängigen in Deutschland nur circa 370.000 weiblich. Allerdings steigt der Konsum bei Frauen mit steigendem Alter: Damen der höheren Schichten trinken dann eher als Unterschichts-Omis. Nicht zu verachten ist das wachsende Problem des Alkoholismus im Seniorenalter allerdings, wenn man bedenkt, dass 70 Prozent der Medikamentensüchtigen ebenfalls älter und weiblich sind …
Männer, vor allem die bildungsferneren, neigen schon in der Jugend zur Trunksucht, sind führend im Teenager-Komasaufen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass junge Männer glauben, Entgleisungen harm- und folgenlos bewältigen zu können. Das Gefühl der Allmächtigkeit ist ihrem Alter und Geschlecht immanent. Und meistens gehen die Exzesse gut.
Das Schlimmste
Mädchen haben, auch wenn sie ohne liebende Familie aufwachsen, meist eine ältere weibliche Bezugsperson. Egal ob diese eine durch russische Soldaten vergewaltigte Urgroßmutter ist, die Hippie-Oma, die Biologielehrerin oder die Mädchen-Gang-Leaderin: mindestens eine von diesen Frauen macht jeder Heranwachsenden klar, dass Bewusstlosigkeit in der Öffentlichkeit, nachts, das Schlimmste ist, was ihr passieren kann.
Natürlich kann der Prävention nie genug sein, aber der aktuelle Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung scheint diese Theorie zu unterstreichen. Von den 26.400 Kids und Teens, die 2009 aufgrund von Alkoholkonsum ins Krankenhaus kamen, waren Mädchen nur bei den Zehn- bis Fünfzehnjährigen mit 52 Prozent stärker vertreten als Jungs. Es scheint, als müssten Mädchen einmal an die Grenze gehen, um für den Rest ihres Lebens zu lernen. Denn schon ab der nächsten Altersgruppe führen die Herren die Drogenstatistiken an.
35 Prozent der Männer rauchen gegenüber 27 Prozent der Frauen, stellen dann aber bei den Raucherentwöhnungsmaßnahmen der Krankenkassen über die Hälfte der Teilnehmenden. 29 Prozent der Frauen zwischen 18 und 25 geben an, mindestens schon einmal gekifft haben. Bei den Männern sind es 41 Prozent. Die Männer dominieren die Statistik, aber die Frauen ziehen mit.
„Mit-Ziehen“ trifft auch das Verhalten der Kokainistin. Wenden wir ihr unsere Aufmerksamkeit zu, so stellen wir fest: Weiblicher Kokain- und Heroinkonsum ist anders als der männliche. Männer begegnen der Droge im gleichgeschlechtlichen Freundeskreis. Dann bringen sie das Gelernte an vermeintlichem Extraspaß zu ihren Gefährtinnen. Der Großteil der Frauen erfährt den ersten Kokain-Kick in „intimen Beziehungen“. Der Mann, so die Vermutung, will seine Frau dabei haben, wenn der selbstbewusstseinssteigernde Effekt eintritt, und mit ihr das gleiche Level der Enthemmung erleben. Heroin ist zum Glück stark auf dem Rückmarsch, die alten KonsumentInnen sterben, neue wachsen fast nicht nach.
Allgemein liegt die Gesundheit, so sagen die Zahlen, den Frauen näher als den Männern, weshalb sie sich besonders in der Schwangerschaft oft vom Sinn eines Drogenentzuges überzeugen lassen. Und junge Drogenkonsumentinnen werden öfter schwanger als Abstinente. Je schlimmer die Teenager unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund von sexuellem Missbrauch oder Gewalt leiden, desto anfälliger sind sie besonders für die billigen Drogen Ecstasy, Speed, Crystal Meth und Designerdrogen.
Frauen bekommen davon laut einer niederländischen Studie bei längerem Konsum stärkere Hirnschäden als Männer, regenerieren sich aber nach Abstinenz stärker als sie.
Doch E-Konsum ist für Frauen gefährlicher: Östrogen und Ecstasy vertragen sich nicht, der Mix kann bei Frauen mit einem hohen Spiegel des Hormons tödlich wirken. Viel häufiger aber ist das Aussetzen der Periode, weshalb es unter jungen Drogen konsumierenden Müttern nicht unüblich ist, sich nicht mehr an den Zeugungszeitpunkt oder an die Namen der potenziellen Väter erinnern zu können: E wirkt nicht nur wie ein Schneepflug auf das Gedächtnis, es bringt die Vierzehn- bis Vierundzwanzigjährigen auch dazu, es ohne Gummi zu tun – in der trügerischen Sicherheit, ohne Periode nicht schwanger werden zu können. Verknallt im künstlichen, ekstatischen Liebesrausch zeugen sie nicht selten Kinder. Interessant: Junge Mädchen aus Ostdeutschland entscheiden sich öfter, das Kind zu behalten, als ihre Schwestern aus dem Westen. Zum Glück betrifft der Ecstasy- und Designerdrogenkonsum gerade mal zwei Prozent der jungen Frauen bis 24 Jahre (Männer: vier Prozent), und in der Schwangerschaft greifen die Vorsorgeprogramme für die Ungeborenen, so dass ein Großteil der Mütter clean wird.
Über Ketamin und GHB gibt es keine geschlechtsspezifischen Studien, hier wissen Berliner Clubbetreiber Bescheid. Frauen seien, so hieß es Unisono, stärker von Bewusstlosigkeit und Atemstillstand bei Ketaminkonsum bedroht, denn die Dosierung der Droge in Tröpfchenform müsse exakt und auf das Körpergewicht bezogen sein – im dunklen Club ist das schwer abmessbar. So gäbe es seit dem Eintreffen des Human- und Tiernarkotikums in der Clubszene vor ungefähr fünf Jahren immer mal wieder schlafende oder bewusstlose Frauen in den Diskos, die von der Security in Krankenwagen verfrachtet wurden – zu groß die Gefahr, an Erbrochenem zu ersticken.
Bei LSD ist der Geschlechterproporz ungesichert, Experten warnen junge Frauen aber vor dem Konsum, da sie mental noch nicht kraftvoll genug seien, einen beginnenden Horrortrip durch die bewusste Änderung des Settings abzuwenden. Sicher ist, dass eine Frau sich nicht während ihrer Periode in höhere Sphären der Psychedelik begeben sollte. Die teilsynthetischen Derivate des im LSD befindlichen Mutterkornalkaloides wirken wehenverstärkend, was während der Menstruation die Kontraktionen des Uterus verstärkt und Schmerzen potenzieren kann.
Das wär doch schade um den schönen Sex auf LSD, den frau haben kann, wenn man zusammen mit dem Lieblingspartner noch die paar Tage wartet. PS: Frauen mit erhöhtem Testosteronspiegel gelten als anfälliger für klinische Sexsucht.
■ Shelley Masters ist Kolumnistin des Berliner Stadtmagazins 030