: Skinheads, Mollies und ein Mord
■ In Hannover hat die rechtsradikale Gewaltkriminalität stark zugenommen / Von Jürgen Voges
Hannover im Oktober 1987: Skinheads und FAPler sind hinter türkischen Jugendlichen her, demolieren eine Kneipe, in der Farbige verkehren. Anschläge mit Gaspistolen und Brandbomben sind an der Tagesordnung. Gleichzeitig wird im Prozeß um den Fememord an dem Neonazi Roger Bornemann der politische Hintergrund ausgeblendet. Vielleicht auch deshalb, weil einige der an den Brandanschlägen Beteiligten jetzt als V–Leute des Verfassungsschutzes ins Gerede gekommen sind.
Endlich sollte es um die Motive, die möglichen politischen Hintergründe des grausamen Mordes an dem 17jährigen Skinhead Roger Bornemann gehen, als Anfang dieser Woche der 30jährige „Kameradschaftsführer“ (oder auch „Standartenführer“) der „Nationalen Sport– und Sicherheitskameradschaft EK 1“ zur Vernehmung vor die Jugendkammer des Landgerichts Hannover geführt wurde. Der muskelbepackte Bernd Futter, dessen Truppe sowohl der getötete Roger Bornemann als auch zumindest drei der vier geständigen Angeklagten angehörten, trug zur Jeans ein Freizeithemd, das die über und über tätowierten Arme für Blicke freigab, und er machte es kurz: Er werde ohne seinen am diesem Tag verhinderten Anwalt nicht aussagen, und während das Gericht noch über Beugehaft gegen den störrischen Zeugen beriet, gab der den Journalisten im Gerichtssaal eine improvisierte Pressekonferenz mit höchst brisantem Inhalt: Der hannoversche Kameradschaftsführer der FAP, „Siggi“ Müller, so behauptete Futter, sei ein V–Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes. „Der kommt aus allem wieder raus“, empörte er sich. Soviel steht fest: In der Wohnung dieses „Siggi“ Müller sind an drei Abenden kurz vor der niedersächsischen Kommunalwahl am 5. Oktober 86 Brandanschläge vorbereitet worden. Und Müller war in seiner Wohnung, als im Badezimmer Moltowcocktails gemischt wurden. Insgesamt fünf Brandanschläge verübten FAPler in diesen Tagen in Hannover. Dabei brannte die Nebenstelle eines Polizeireviers aus. In einer Ausländerunterkunft brannte das Treppenhaus. Durch glückliche Zufälle wurden auch die übrigen Brände - in einem weiteren von Ausländern bewohnten Haus, einem türkischen Übersetzerbüro und am Jugendzentrum Kornstraße - rechtzeitig entdeckt, so daß keine Menschen zu Schaden kamen. Beteiligt an diesen Anschlägen waren neben Müller der später ermordete Roger Bornemann, Bernd Futter selbst und vier weitere FAPler. Einen Monat später gründete Futter mit einem Dutzend FAP–Mitgliedern und -Sympathisanten seine eigene „Sport– und Sicherheitskameradschaft EK 1“. Als die Polizei der Vielzahl von Einbrüchen, die Futter und andere EK–1–Mitglieder in dieser Zeit begangen hatten, auf die Spur kam, plauderten eine Reihe von Mitgliedern der Futter–Truppe auch bereitwillig über die Brandanschläge. Vier Tage nach seinem Geständnis bei der Polizei wurde Roger Bornemann im Hannoverschen Stadtwald von seinen vier Kumpanen brutal zu Tode gequält. Das Verhalten der Strafverfol gungsbehörden nach diesen Taten hat nicht nur bei „Kameradschaftsführer“ Futter Anstoß erregt. Die Staatsanwaltschaft hatte zunächst den Komplex Brandanschläge in fünf Einzelverfahren aufgeteilt. Dabei trennte man nicht nach Taten, sondern nach Tätern oder Tätergruppen. Das Verfahren gegen Siggi Müller wurde inzwischen eingestellt, ein weiteres nach Nordrhein–Westfalen abgegeben. Ein drittes Verfahren vor dem Amtsgericht wurde zwar begonnen, dann aber ausgesetzt. In dem einzigen Prozeß, der bisher abgeschlossen wurde gegen Bernd Futter selbst und zwei weitere Angeklagte, waren die Brandanschläge schon aus der Anklageschrift abgetrennt und auf unbestimmte Zeit verschoben worden. In diesem sogenannten EK–1– Prozeß ging es dann nur noch um ein gutes Dutzend Eigentumsdelikte, darunter immerhin aber noch um den Einbruch in ein Waffengeschäft. Der Vorsitzende Richter konnte dann in der Hauptverhandlung mehrfach nachdrücklich erklären, politische Hintergründe stünden nicht zur Debatte. Auch die Grünen im niedersächsischen Landtag sind inzwischen der Ansicht, „daß der wahre Grund für diese behördliche Nachsicht darin zu suchen ist, daß der Verfassungsschutz schon lange einen V–Mann in der Nazi– Truppe hatte“. Sie vermuten, daß der Mord an Roger Bornemann unter den Augen des Verfassungsschutzes geschehen ist. In Hannover gab es in den letzten Monaten zahlreiche Hinweise in diese Richtung. Dabei geriet nicht nur der örtliche FAP–Chef Siggi Müller, sondern auch Bernd Futter in den Verdacht der Zusammenarbeit mit den Staatsschutzbehörden. Der EK–1–Führer hat im Gefängnis selbst gegenüber einem Journalisten behauptet, er habe seit seiner ersten Verhaftung am 3. November 86 mit dem 7., dem politischen Kommissariat der hannoverschen Kripo zusammengearbeitet. Aus den Akten geht hervor, daß ein Haftbefehl gegen Futter damals trotz zahlreicher Haftgründe außer Vollzug gesetzt wurde. Auf dem Weg zum erwähnten Einbruch in das Waffengeschäft Franconia am 4. Dezember wurden Futter, Roger Bornemann und zwei weitere EK–1–Mitglieder von der Polizei kontrolliert. Die mehrfach geschaltete Alarmanlage des Waffengeschäftes meldete den Einbruch erst fünf Stunden später. Das Geschäft liegt im Nebenflügel eines Hochhauses, in dem jahrelang der Verfassungsschutz Etagen gemietet hatte. Im EK–1–Prozeß wurde Futter dann nur wegen Beihilfe zu diesem Einbruch verurteilt. Ein Journalist des hannoverschen Stadtmagazins Flex glaubt außerdem, einen weiteren V–Mann des Verfassungsschutzes in der „Sport– und Sicherheitskameradschaft EK 1“ entdeckt zu haben. Er hat Informationen eines Beamten über eine entsprechende Ausage dieses EK–1–Mitglieds vor der Polizei erhalten. Die hannoversche Staatsanwaltschaft tat alles, um einen großen öffentlichkeitswirksamen Prozeß um die Brandanschläge zu verhindern, die den Hintergrund des Mordes an Roger Bornemann bilden: Die Ermittlungen wurden nicht von der für politische Straftaten zuständigen Abteilung geführt. Der hannoversche Polit–Oberstaatsanwalt Borchers hat sich nur einmal eine kurze Zeit lang mit einem der Brandanschläge befaßt. Er ermittelte wegen des Brandes im Polizeirevier nur solange, wie dieser Anschlag noch der Linken zugerechnet wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen