: Wümme: Ein Heim für Fischotter
■ Naturschützer wollen Wümmeniederung renaturieren / Ackerbau soll eingeschränkt, Uferbefestigungen sollen zurückgenbaut und Sommerdeiche geschliffen werden
Unmittelbar neben dem nördlichen Wümmearm, Höhe Ebbesieck, pflückt ein Bauer mit seinem Trecker ein Maisfeld, passend für BUND-Geschäftsführer Joachim Seitz, um den versammelten Journalisten Anschauungsunterricht zu geben. Maisfelder werden in der Regel viermal mit Gülle gedüngt. Die Nährstoffe, die von den Pflanzen nicht aufgenommen werden, fließen über das Grundwasser in die Wümme, werden dort nicht abgebaut und landen so, schlußendlich, in der Nordsee als Dünger für Killeralgen.
Gedüngt werden darf heute nur noch im niedersächsichen Teil der Wümmeniederung. Bremen hat die Wümmewiesen Ende 1987 unter Naturschutz gestellt und ein generelles Düngevebot für die Landwirtschaft ausgesprochen. Doch ein Verbot alleine macht noch keine Naturidylle.
Früher war die Wümmeniederung eine riesige Flußlandschaft. Etwa 80 Nebenarme durchström
ten die Ebene. Heute sind gerade noch drei Nebenarme geblieben. Die anderen wurden zu Vorflutern umgebaut, deren einziger Sinn darin besteht, die Äcker und Wiesen zu entwässern. „Was wir hier verloren haben, davon haben wir gar keine Ahnung mehr“, bedauert der Wasserwirtschaftler Heinrich Liebsch.
Auch die Wümme selbst ist an vielen Stellen zum Kanal degradiert worden. Zum Beispiel am Hexenberg: Dort ist das Ufer mit Tropenholz, Bongossifaschinen, befestigt. Sinn der Maßnahme: Der Fluß soll möglichst schnell abfliessen, damit die Ackerlandschaft seltener überschwemmt wird. Ein paar hundert Meter weiter wird aus dem Kanal eine Idylle: Am Ufer stehen Weiden, deren Zweige weit über den Fluß ragen. Am Flußrand haben sich Auskolkungen gebildet; hier können die Fische laichen.
Der eigentliche Anlaß für den Öko-Spaziergang, zu dem der BUND und der World Wide Fund
for Nature (WWF) eingeladen haben, ist ein Szenario, daß der Fischotterexperte Norbert Prauser erstellt hat. Der Fischotter ist eine vom Aussterben bedrohte Tierart, das Wümmegebiet eines der bedeutendsten Rückzugsräume für Fischotter in Niedersachsen. Doch auch hier ist der Fischotterbestand zurückgegangen. Ein paar idyllische Flußeckchen reichen dem Ottter nämlich nicht. Das „nette, possierliche Tierchen“, so Gutachter Prauser über seinen Untersuchungsgegenstand, braucht große zusammenhängende Flußabschnitte von bis zu 20 Kilometern für seine Wanderungen, natürliche Uferbereiche für Unterschlüpfe und Baue und viel Ruhe.
All das ließe sich an der Wümme verwirklichen, wenn Steinpackungen und Bongossifaschinen als Uferbefestigungen verschwänden, die Sommerdeiche geschleift würden und die landwirtschaftliche Nutzung in der Ufernähe beendet würde. Unabdingbare Voraussetzung dafür: Das Bundesumweltministerium müßte die 25 Mio Mark teuren Maßnahmen zu 75 Prozent finanzieren. Für das restliche Viertel hätten gemeisam der WWF, der Landkreis Verden und das Land Niedersachsen aufzukommen.
Bislang scheint jedoch bei den behördlichen Wasserbauern das Verständnis für ökologische Zusammenhänge immer noch nicht auszureichen: Ein paar hundert Meter flußabwärts, wo das Winterhochwasser die Uferbefestigungen zerstört und so wieder naturnahe Bedingungen geschaffen hatte, haben die Wasserbauer wieder massive Steinschüttungen vorgenommen.
hbk
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