: Betr.: Zitate zu EG-Europa
Letizia Battaglia, Grüne Stadtdezernentin in Palermo: „Ich bin eine hundertfünfzigprozentige Europäerin: Wir alle haben diesen größeren Raum, diese größeren Entfaltungsmöglichkeiten dringend nötig. Vieles muß man dazu, besonders bei uns im äußersten Süden, allerdings noch besser organisieren, um nicht wieder enttäuscht zu werden.“
Emilio Napolitano, Carabinieri-Oberst in Rom: „Wir fahnden jährlich hinter mehr als 200.000 gestohlenen antiken Statuen, mittelalterlichen Kunsthandwerkstücken, modernen Gemälden her: bislang mit einer Aufklärungsquote von guten 65 Prozent - und einen Großteil davon erwischen wir an den Grenzen. Wenn die fallen, wird's wohl bald düster aussehen für das 'größte Museum der Welt Italien‘.“
Felice, detto il mercenario del mare, Fischer auf Lipari: „Um Grenzen habe ich mich als Seemann sowieso nie sonderlich geschert. Wenn die Europa machen, hoffe ich nur, daß sie die dämlichen Normen, die unsere Fisch- und Obstausfuhr ruiniert haben, nicht auch noch auf den nationalen Markt anwenden und uns endgültig tot machen.“
Eric Contant, 40, selbständiger französischer Schlachtermeister: „Ich bin seit fünf Jahren Europäer. Damals habe ich begriffen: Frankreich ist zu klein. Andere Gesellschaften sind viel interessanter. Nur beim Wurstverkauf klappt Europa nicht: Die Franzosen nehmen nur nationale Fleischprodukte.“
Evelyn Herman, 55, Pariser Gemüsehändlerin: „Europa, c'est la catastrophe. Wenn wir gut regiert würden, bräuchten wir von niemandem Hilfe. Nun aber sind wir teurer als die anderen. Alles, was uns fehlt, ist De Gaulle.“
Jaqueline Cesar, 35, Sekretärin aus der französischen Karibik-Kolonie Martinique: „Europa ist eine gute Sache. Wir werden Teil Europas sein. Und Europa wird unsere Bananen und Früchte haben. So werden wir uns an einander gewöhnen.“
Cathy Weldon, Lehrerin aus Dublin: „Durch die Anpassung der Standards soll ja die Berufsausbildung in der ganzen EG gültig sein, auch für LehrerInnen - falls es dann überhaupt noch freie Stellen gibt. Für das Individuum mag das ganz schön sein, für Irland ist es eine Katastrophe. Die Auswanderungstendenzen werden sich verstärken. Irland wird mehr und mehr für die Ausbildung bezahlen, die anderen Ländern dann zugute kommt.“
Mick O'Beirne, Drucker in Dublin: „1992? Sag mir lieber, was 1988 noch mit dieser Insel passieren wird. Aber im Ernst: ich glaube, es wird unsere Landwirtschaft ruinieren. Wenn die Preisstützungen wegfallen, werden 60 Prozent der Kleinfarmer unter das Mindesteinkommen sinken. Und eine Alternative haben sie nicht, weil es keine Jobs gibt.“
Michalis Dokoumetzakis, Maler aus Athen: „Ich fürchte, daß der westliche Lebensstil immer stärker in unser Leben eindringen wird. Das Himmelblau und die Helligkeit unseres Lichtes wird von den Geldscheinen der reichen Europäer beschattet. Wir müssen uns anstrengen, unsere Traditionen zu erhalten.“
Angeliki Makri, Fischverkäuferin in Athen: „In der Nachbarschaft werden immer mehr Supermärkte eröffnet. Der Spielraum für uns Kleinhändler wird immer enger. Ich hoffe, daß Europa 1992 nicht für viele von uns die Vernichtung der Existenz bedeutet. Unsere Regierung muß uns besser schützen.“
Hans-Otto Wolf, Betriebsratsvorsitzender aus Dortmund, Hoesch-Werk Phoenix: „Ich glaube, daß die nationalen Arbeitsmarktaspekte nach der Öffnung total den Bach runter gehen und der sogenannten freien Marktwirtschaft geopfert werden. Auch in jenen Ländern, die heute noch eine offensivere Arbeitsmarktpolitik betreiben. Eine solche Politik kann eine nationale Regierung dann noch weniger durchhalten.“
Theo Steegmann, 2. Betriebsratsvorsitzender des Krupp -Stahlwerks in Rheinhausen: „Die Gewerkschaften müssen endlich anfangen, Gegenstrategien zu entwickeln. Wir müssen gegen die Bürokratien und die Strategie des europäischen Kapitals, also gegen die Macht von oben die Solidarität von unten setzen, denn von der Stahlkrise sind die Kollegen in Wales, Lothringen oder Belgien genauso betroffen.“
„Mein Gott, habt ihr Europäer lange Worte“.
Telefonistin der „Hotline 1992“ des britischen Industrieministeriums bei dem Versuch, „DIE TAGESZEITUNG“ zu buchstabieren.
Rosi Wolf-Almanasrek, Bundesgeschäftsführerin der Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen: „200 Jahre nach der französischen Revolution ist es an der Zeit, daß die Einwohner der europäischen Staaten auch die Osteuropas - volle Bürgerrechte erhalten. Das bedeutet für mich nicht nur freier Warenverkehr, sondern Niederlassungsrechte und volle Bewegungsfreiheit ohne Visumszwang und andere Einschränkungen für alle in Europa lebenden Menschen. Auch solchen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines EG-Landes haben. Europa darf keine 'Bastion gegen den Rest der Welt‘ werden.“
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