: Die Spanier und der Fluch der Berge
■ 75.Tour de France: Pedro Delgado (Spanien) vor den Pyrenäen in der Form seines Lebens
Berlin (taz) - „Wer Alpe d'Huez im Gelben Trikot verläßt, der trägt es auch am Ende in Paris.“ So lautet eine alte Tour-Weisheit. Aber die Tour ist nicht mehr die alte, und auch ihre Weisheiten verlieren an Geltung. Im letzten Jahr zog sich der Spanier Pedro Delgado just in Alpe d'Huez das begehrte Leibchen des Spitzenreiters über, während sein ärgster Konkurrent, der Ire Stephen Roche, unter einer Sauerstoffmaske nach Luft schnappte. Doch der Milchmannssohn aus Dublin erholte sich aufs Prächtigste und scherte sich nicht um die sorgsam gehegten Mythen der Tour. Auf der vorletzten Etappe fuhr er im Zeitfahren Delgado davon, zog das Gelbe Trikot wieder an und gab es nimmer her.
In diesem Jahr ist Roche nicht dabei, Delgado aber bleibt sich treu. Im selben Alpe d'Huez belegte er bei der 12.Etappe den dritten Platz hinter den Niederländern Rooks und Theunisse und durfte sich anschließend wieder in gelb kleiden. Locker wie ein Sonntagsausflügler war er die Berggiganten Madeleine, Glandon und Alpe d'Huez (alle fast 2.000 Meter hoch) hinaufgerollt, während mehr als zwanzig Minuten zurück Stars wie Kelly und Bernard japsend dem Ziel entgegenkrochen. Am nächsten Tag setzte der 28jährige Spanier beim 38 km-Einzelzeitfahren von Grenoble nach Villard-de-Lans noch eins drauf und deklassierte seine nunmehr schärfsten Konkurrenten, die Kolumbianer Parra und Herrera, um drei bis vier Minuten.
Kein Roche ist in Sicht, und so herrscht vor der heutigen Pyrenäenetappe von Saint Girons nach Luz Ardiden, der schwersten dieser Tour, Einigkeit in der Fachwelt: Delgado gewinnt.
Doch die Berge haben den Spaniern schon so manchen Streich gespielt. Der „Adler von Toledo“, Federico Bahamontes, pflegte einer Bergziege gleich die Hänge hinaufzuklettern, verlor aber bei den Abfahrten oft wertvolle Zeit. Luis Ocana hatte 1971 das Kunststück fertiggebracht, dem übermächtigen Eddy Merckx in den Alpen sage und schreibe neun Minuten abzunehmen. Alle hielten ihn für den sicheren Sieger, da beendete ein Sturz in den Pyrenäen alle Ambitionen. Merckx gewann.
Und auch Pedro Delgado selbst kann ein Lied vom Pech singen, das ihn allerdings vorwiegend in den Alpen heimzusuchen pflegt. In aussichtsreicher Position bekam er dort 1983 Magenbeschwerden und verlor viel Zeit, fuhr er 1984 gegen eine Mauer und brach sich den Knöchel, stieg er 1986 weinend vom Rad, als er vom Tod seiner Mutter erfuhr.
Aber Delgado kann sich trösten. Einmal gibt das Schicksal bei der Tour auch Spaniern eine Chance. Bahamontes gewann 1959, Ocana in Abwesenheit von Eddy Merckx 1973. Es spricht einiges dafür, daß 1988 das Jahr des Pedro Delgado werden könnte.
Matti
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen