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Obst und Gemüse...

■ ...sind nur spaßige Interpunktion in der Bremerhavener Menschengesichter- und -körperausstellung des Fotografen Rainer Leitzgen, aber eine hübsche Überschrift

Er fotografiert Gesichter, Hände, Füße, Haut, dicke und dünne Menschen, Obst und Gemse. So stellte Jürgen Wesseler, Patriarch der Bremerhavener Kunsthalle, den Fotografen Rainer Leitzgen vor und fragt: „Geht es ihm wirklich um Gesichter, Hände, Füße...oder um Bilder?“ Um was es dem 27jährigen Kölner Fotokünstler geht, weiß ich nicht. Aber warum mich seine Bilder faszinieren, will ich versuchen zu erklären. Leitzgen zeigt Kinder, Jugendliche, Alte, Männer und Frauen. Er unterwirft sie nicht den Klischees modisch gestylter

Ästhetik, macht seine Objekte nicht zu Opfern der Fotoboutiquen, die glatte Körper, künstliche Posen und kalte Gesichter als erotische Dutzendware feilbieten. Leitzgens Körper und Gesichter sind Landschaften. Alte Landschaften, mit Falten und Runzeln, in deren Züge sich Geschichte eingeschrieben hat. Junge Landschaften voll schöner Formen: Augen, Lippen, Ohren, Stirn und Haar. Leitzgen spielt die beiden Seiten menschlicher Physiognomie nicht gegeneinander aus, goutiert so wenig die Schönheit der jungen, wie er die Häßlichkeit der alten Gesichter bloßstellt. Er zeigt würdevolle Körper, egal ob jung oder alt, die ihre eigene Ausstrahlung besitzen.

„Ich wollte immer schon jemanden mit so einem dicken Bauch sehen“, sagt die Besucherin neben mir. Das Foto hat kein Gesicht, nur einen massigen Oberkörper bis zur Schamgrenze. Die Genauigkeit, mit der jede Fettfalte ausgeleuchtet wird, ist nicht unbarmherzig. „Schön“, findet die Besucherin, sie hätte Lust, da richtig reinzuknubbeln. Beim Aktzeichnen während des Studiums hat sie sich immer gewünscht, auch mal einen Rubenstypen vorgesetzt zu bekommen.

Akte müssen ja nicht unbedingt erotisch sein.

Lietzges Körperstudien sind keine erotischen Inszenierungen für die Augenlust von Voyeuren. Eine alte Frau, die wie ein an den Armen aufgehängtes Stück Fleisch vorgeführt wird (denn ihre Hände sind nicht zu sehen), ein faltiger Männerrücken mit zusammengekniffenem Arsch, ein Frauentorso mit hängenden Brüsten und Schwangerschaftsstreifen. Aber was er enthüllt, erregt keinen Ekel, denn diese unförmigen Körper, aus dem Versteck der Kleidung hervorgeholt, zeigen schamlos ihre Geschichte, groß gesprochen: ihre spannende Wahrheit.

Leitzgen kommt Menschen auf die Spur, häufig solchen, die er zufällig auf den Straßen Londons trifft, wo er arbeitet. Er stößt auf Geschichten, die sich in den Körper eingeschrieben haben.

Ironische Interpunktion zwischen den Menschenbildern sind zwei Obst & Gemüse-Fotos: Apfel und Zucchini - frech kokett spielt Leitzgen mit den fleischgewordenen Symbolen der Verführug. „Eins der wenigen Male“, sagt die Besucherin neben mir, „daß ich mich durch Fotos nicht verletzt fühle.“

hh

Kunsthalle BHV, bis 11.9.

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