: Aufgenommen in der Fremde „wie ein Sohn“
Im saarländischen Merzig lebte der Flugzeugentführer Hammadi in einem „sozialen Bennpunkt“ mit hoher Arbeitslosigkeit und in beengten Verhältnissen und wurde von einer deutschen Familie angenommen - selber mit Problemen beladen, gibt es Solidarität und Verständnis für die Nöte des Fremden ■ Aus Frankfurt Heide Platen
Der Platanenweg in Merzig, Ortsteil Brotdorf, ist, sagt der Bewährungshelfer vorsichtig, „ein sozialer Brennpunkt“. Die Leute, die dort leben, wohnen „beengt“, eben „nicht in der besten Wohngegend“, beschreibt ein Kriminalbeamter vorsichtig. Dort ist Muhamad Ali Hammadi, der zur Zeit wegen Flugzeugentführung, Mord und Sprengstoffdelikten in Frankfurt vor Gericht steht, untergekommen, als er im November 1982 in die Bundesrepublik kam.
Der junge Mann reiste ein mit der Hoffnung, Arbeit zu bekommen. Er hoffte da vor allem auf die Hilfe seines erheblich älteren Bruders Abbas, der schon im Saarland lebt und seit 1980 mit einer Deutschen verheiratet ist. Sie kommt aus dem Platanenweg und ist die Tante der 17jährigen Birgit M., die dort mit den Eltern, Geschwistern und Halbgeschwistern und zwischenzeitlich auch mit deren rasch wachsenden Familien in drangvoller Enge lebte.
Der Hausarzt der Familie berichtet über die verfallenden Häuser, die immer feucht sind und dunkel und ungesund. Sie werden, sagt er fast erleichtert, „demnächst abgerissen“. Was dann aus den Familien wird, die Opfer ihrer Lebensumstände und der grassierenden Arbeitslosigkeit im Saarland sind, weiß er nicht. Bisher verbringen gerade die Männer ihre Tage ohnehin lieber im nahen Park des Stadtbades. Dort ist ihr Treffpunkt, dort wird die Zeit vertrunken, die sie alle überreichlich haben. Dort haben sie auch mit dem Jungen aus dem Libanon an seinem Geburtstag gebechert, bis der umfiel. Ob er, als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, auch noch versucht hatte, sich mit Tabletten umzubringen, oder ob er einfach zu betrunken war, um zu wissen, was er tat, ist bis heute unklar.
Familienanschluß
Der Schutz, den er bei seinem Bruder suchte, den fand er nicht. Abbas‘ Ehe kriselte so vor sich hin wie viele Ehen in der Gegend. Hammadi schloß sich immer mehr der Familie M. an, die er über Abbas „in der Kneipe“ kennenlernte. Birgit wird Ende 1983 seine Freundin. Ihre Brüder freunden sich ebenfalls mit ihm an. Sie nehmen ihn zum Trinken mit und beziehen ihn in ihre Raufhändel ein. Mutter M. nimmt ihn unter ihre Fittiche und freut sich, daß er im Gegensatz zu ihren Söhnen und ihrem Ehemann so sauber, so adrett gekleidet und so höflich ist.
Sie bewundert, daß er sich so oft wäscht. Sie hat nichts dagegen, daß Muhamad Ali mit ihrer Tochter zusammen ist. Die hätte es auch schlechter treffen können. Sie hat auch nichts dagegen, daß Birgit bei ihm in seinem kleinen Zimmer über der Gaststätte „Tempo“ übernachtet, findet es auch in Ordnung, wenn er mit ihr im Platanenweg bleibt. Immerhin trinkt er wohl weniger als die anderen und wird dann nur „spaßig“, nicht etwa gewalttätig.
Vater M. hat in der Familie nicht viel zu sagen. Er ist, ebenso wie seine Söhne, arbeitslos und dem Alkohol zugetan. Als der Bewährungshelfer, der Muhamad Ali Hammadi im Saarland betreute, vor Gericht aussagt, ist nebenbei zu erfahren, daß auch Vater M. gerade wieder Kunde bei ihm ist. Zu der Zeit, als Muhamad Ali mit Birgit anbandelte, war er im Krankenhaus. Er habe schon deshalb, sagt Frau M. auf Nachfragen vor Gerichts, nichts gegen diese Beziehung haben können, weil er „nicht da war“. Verständnis
In diese Zeit fällt auch ein Jugendgerichtsurteil, das auf neun Monate Gefängnis und 120 Stunden gemeinnützige Arbeit lautet. Im Sommer 1983 hatte Hammadi einer Marktfrau beim Altstadtfest in Saarlouis eine Geldkassette entrissen und war davon gerannt. Einem Verfolger warf er die Kassette ins Gesicht. Dem fehlten hinterher einige Zähne. Der Bewährungshelfer erinnert sich, daß ihm an Hammadi besonders auffiel, daß der es verstanden habe, sich immer wieder „schlitzohrig“ vor der gemeinnützigen Arbeit aus dem Urteil zu drücken. Ebenso wenig sei er begeistert davon gewesen, als Asylbewerber für zwei Mark pro Stunde im Stadtpark und auf dem Friedhof zu arbeiten. Im Platanenweg findet er Verständnis, dort kennen alle die Arbeitslosigkeit und die harte Arbeit vor allem im Winter für wenig Geld beim Friedhofsamt.
Birgit wird im Januar 1984 schwanger will ihn aber nicht heiraten. Er könne, sagt das Mädchen, ja doch keine Familie ernähren. Sie wendet sich einem Bekannten zu. Hammadi versucht dennoch, das Aufgebot zu bestellen und unterschreibt eine Vaterschaftserklärung, damit sein Kind „einen Namen“ hat. Die Familie M. hält weiterhin zu ihm, dennoch resigniert er. Keine Arbeit, keine Hochzeit, kein Asyl, Ende 1984 verläßt er die Bundesrepublik. Vorher hat er sich noch, sagen die Zeugen übereinstimmend, rührend um seine im September geborene kleine Tochter gekümmert.
Der „gute Freund“
Die Auftritte des Bruders und des Halbbruders von Birgit vor Gericht sind immer wieder von Gelächter begleitet. Die beiden Männer reden in heftig gefärbtem saarländischem Dialekt, sind oft sehr schwer zu verstehen. Rechtsanwalt Steck bittet irgendwann den Vorsitzenden Richter Mückenberger, den Zeugen anzuhalten, „Hochdeutsch zu reden“. Beide betonen zu Beginn ihrer Vernehmung ausdrücklich, Muhamad Ali Hammadi sei immer noch ihr „guter Freund“.
Bei seiner Abreise habe er geweint. Zum für ihn ungewohnten Alkohol kamen die vom Arzt großzügig gegen Kopfschmerzen verschriebenen Schlafmittel Medinox, Mandrax und Vesparax, deren Konsum im Platanenweg durchaus üblich war. Über die Gefährlichkeit dieser Medikamente wußten die Patienten nichts. „Wenn ich müde bin, nehme ich auch eine“, sagte die Mutter. Die Frau hat unter schwierigen sozialen Bedingungen acht Kinder großgezogen. Von Hammadi, dem die Familie M. sichtlich mehr bedeutete als die Freundin, wird sie dafür bewundert. Er sei meint sie noch heute, „wie ein Sohn“ für sie gewesen.
Nachdem er im Januar 1987 unter dem Verdacht, im Sommer 1985 die amerikanische TWA-Maschine in Athen entführt und einen Mann erschossen zu haben, in Frankfurt festgenommen worden war, besuchte ihn Frau M. im Gefängnis. Auch Tochter Birgit hege keinen Groll gegen ihn. Wenn sie nicht inzwischen verheiratet und Mutter von zwei Kindern geworden wäre, würde sie ihn „bestimmt auch besuchen“. Und das, obwohl sie ihren Arbeitsplatz durch Hammadi verloren habe. Der Firmen-Chef habe ihr gesagt: „Sie haben ein Kind mit einem Terroristen. Wir beschäftigen hier keine Terroristen.“
Der Familie Müller ist anzumerken, daß sie zu Hammadi hält. Und das nicht, weil sie, wie eine Nachbarin für sich in Anspruch nahm, bedroht worden wären. Hier haben sich Leute mit einem verbündet, den sie in seinen Problemen und Nöten verstanden haben.
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