: Kontrolletis starten durch
■ Im Einsatz gegen SchwarzfahrerInnen angepaßt: in Kleidung, Mannstärke und Bezirk
Die U-Bahn hält am Moritzplatz. Ein typischer Alt -Kreuzberger aus der Schultheiss-Generation steigt ein. Auf dem Kopf trägt der etwa 50jährige ein graues Käppi. Den Bauch betont eine Jacke aus rot-blau-weiß kariertem grobem Stoff, nicht viel sauberer als die Borte des guten Stücks aus abgewetzter Schaffellimitation. Eine braune Cordhose ergänzt das gewagte Ensemble. Breitbeinig, leicht schwankend steht der Mann in der U-Bahn-Tür. Der Zug fährt an, da zückt der Typ einen Ausweis: „Guten Tag, Fahrscheinkontrolle!“
40 Mark ist der Schwarzfahrer los, doch staunt er über die neue Professionalität der BVG-Kontrollettis. Gar nicht stolz auf solch subtile Mimikry seiner Untergebenen ist Lothar Jähnichen, bei der BVG zuständig für den mühsamen Kampf gegen die „Beförderungserschleicher“. Jänichen versichert: „Es ist überhaupt nicht unsere Absicht, daß die Zivilkontrolleure in einer Vermummung auftreten. Die kommen nicht in Zehlendorf mit Schlips und in Kreuzberg im Unterhemd.“ Da bleibt die BVG unsensibel und spießig wie eh und je. „Ne ganz normale ordentliche Kleidung“ hat der Zivil -Konti zu tragen, glaubt man Lothar Jähnichen.
Daß die BVG-Kontrolleure dennoch professioneller arbeiten, will der BVG-Verantwortliche nicht dementieren. Seit der Tarifreform im Mai kommen die „Schaffner im Kontrolldienst“ auch nachts, seitdem steht auch den „Gruppenführern“ mehr Entscheidungsfreiheit zu. Sie dürfen selbst entscheiden, in welcher Mannstärke sie die Wagen stürmen - oder ob sie draußen stehen bleiben. In der Rush hour sei es eben sinnvoller, gleich den Zug zu entern, erläutert Jähnichen, bei schwachem Verkehr hingegen verharrt die Kontrolltruppe besser vor dem Zug und läßt dem Schwarzfahrer Zeit, einzusteigen. „Dem Verkehr angepaßt“ sollen die Kontrolleure agieren. Für den stark besetzten Zug empfiehlt die BVG eher die Uniform, für schwachbesetzte Bahnen Zivil.
Daß in den letzten Wochen die U-Bahn-Stationen Moritzplatz und Kottbusser Tor regelrecht belagert wurden von den Jägern des angeblich verlorenen Fahrscheins, war offensichtlich kein Zufall. „Wir haben unsere Erfahrungen“, räumt Jähnichen ein, danach würden auch Schwerpunkte gesetzt. Zwei Drittel der Kontrollgänge absolvieren die Kontrolleure mittlerweile ohne Dienstkleidung, schätzt Jähnichen. Und weil die Zahl der Schwarzfahrer gestiegen sei, hat die BVG auch die Konti -Schar vergrößert. Fast so viele wie 1980, nämlich 200 gibt es mittlerweile wieder, im letzten Jahr war ihre Zahl auf 148 geschrumpft.
Seit Jahren, so klagt die BVG und jault das gesunde Volksempfinden, steigt die Schwarzfahrerquote, von 1,82 Prozent 1977 auf 3,33 Prozent 1987. Erneut gestiegen, selbst in den Bahnen, sei die Schwarzquote durch den offenen Mitteleinstieg im Bus. So hatte die BVG analysiert und flugs den einzigen unkontrollierten Zugang zum Bus wieder verschlossen. Nebeneffekt: die Kontrollettis haben jetzt wieder mehr Zeit für die Bahnen.
Stets räumt die BVG erst auf Nachfragen ein, daß die Schwarzquote auch deshalb steigt, weil die Kontrollschaffner mittlerweile effektiver arbeiten. Dem neuen BVG-Chef Lorenzen ist das alles noch nicht genug. Immer wieder beschwert er sich im Haus, ihm „gefalle die Effektivität der Kontrolldienste nicht“. „Das ist ein Problem der Geschäftsleitung“, kontert Wilfried Mehner vom Personalrat, „die soll ein Konzept vorlegen.“ Daran arbeitet jetzt die BVG-Verkehrsverwaltung, in einigen Wochen soll das Konzept vorliegen. Diskutiert wird, die Gruppenstärke der Kontrollscharen zum Teil zu verringern und „die Einsatzorte zu modifizieren“. Zu deutsch: noch mehr Kontrollen in Bezirken wie Kreuzberg, deren Bewohner seltener die Fahrscheinautomaten anrühren.
Schwarze Aussichten für Schwarzfahrer. Eine Hoffnung bleibt: der Leistungswille mancher Kontrolleure läßt weiterhin zu wünschen übrig - meint zumindest BVG-Chef Lorenzen. Weniger besorgt ist Lothar Jähnichen. In den Kontrolleursgruppen gebe es Mitarbeiter, „die aufpassen“. Wilfried Mehner jedoch kann sich soviel Leninismus in der BVG nicht vorstellen: „Die kennen sich doch alle.“
hmt
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