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Der Fotograf malt mit Zwielicht

■ Das Fotoforum zeigt die Poetischen Momentaufnahmen des des französischen Fotojournalisten Bernard Plossu: quasi umgedrehter BILDjournalismus

An all die verwackelten, falsch belichteten, unausgewogen proportionierten Fotos muß ich denken, all die kleinen Unglücke, die ich ärgerlich zurückgab im Fotofachgeschäft. Welche Dummheit und traurige Selbstbeschränkung liegen in der Fixierung aufs ultrascharfe, hochglänzend brillante Bild, dessen ideale Vorgabe uns die Werbeästheten liefern?

Mit Gedanken solcher Art verläßt man die Räume des Fotoforum im Fedelhören: Dort hängen die Schwarz-Weißbilder des Franzosen Bernhard Plossu, eines Fotojournalisten aus dem Dunstkreis der Eliteschule Arles. Diese Bilder sind notwendige Zumutungen für träge Netzhäute. „Avant l'aube“ vor der Morgendämmerung entstanden Plossaus's poetische Momentaufnahmen, zu einer Zeit also, da der Hunger nach Licht am größten ist,

Zwielichtzeit. Frau, verwischt in allen U-Bahn-Stationen der Welt; Paar, eben noch elegant im gnädigen Dämmerlicht jeder Metropole, auf dem Heimweg; Truck in der Einsamkeit der Noch -Nacht, zwei Scheinwerfer und ein Mond. Was zunächst wie ein Artefakt wirkt - zu wenig Licht und Zitterhand - wird bald klar als kalkulierte Desinformation, quasi umgedrehter Bildjournalismus. Plossu dokumentiert Emotionen, indem er seine Morgendämmerung typisiert und das Subjektive mit dem Objektiven versöhnt.

„Es hat die Morgendämmerung gegeben, in der schon der Lärm aller Schreie und aller Maschinen von Neapel erscheint, die Morgendämmerung, in der ein einzelner Mensch von irgendwo her in der afrikanischen Savanne kam, die Morgendämmerung der Kindheitsjahre, in denen man

traurig unter eisigem Regen ins Gymnasium ging, die Morgendämmerung voller Ängste, in denen man nach seinem gekidnappten Kind sucht, Morgendämmerungen um Morgendämmerungen während Wochen des Leidens, aber auch Morgendämmerung des Glücks, bei der man dem Neugeborenen die erste Flasche gibt - doppelte Morgendämmerung des Tages und des Lebens.„(B.P.)

An der Bushaltestelle zündet sich die schwarzhaarige Frau eine Zigarette an: die fünfte oder die fünfundachtigzigste? Ist es noch gestern oder schon morgen? Der Fotograf bewegt sich auf der Haut der Nacht und malt mit Licht und berichtet von den Menschen und ihrem Land.

Burkhard Straßmann

Bis 28. 12.; Öffnungszeiten: Mo-Frei 17 - 19, So. 11-13 Uhr.

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