: „Wir treffen uns bei den Schweinen“
■ Studentischer Protest erreicht Bremer Universität / Wegen ihrer Raumnot zogen 200 Studierende zur „Vorlesung“ ins Haus der Bürgerschaft / „Der perspektivlosen und frustierenden Situation ein Ende machen“
„Dieter“ schallte es gestern abend gegen halb sechs eindringlich durch die Bremer Bürgerschaft; die zweite Präsidentin Anneliese Leinemann bringt den Präsidenten Dieter Klink zum Halten, der im Sturmschritt zum Rednerpult wollte: Dort redet niemand, dem er ordentlich das
Wort erteilt hätte, sondern - ein Student. In dem hohen Haus herrscht ein Pfeifen, Klopfen, Gröhlen, ein übervoller Höllenlärm. StudentInnen sind dort illegal oder zumindest unbefugt eingedrungen, so muß die Unglücksbotschaft irgendwo das Ohr des Präsidenten erreicht haben.
Klink ließ sich bewegen, den Protest ruhig abzuwarten. Mit Referaten über naturwissenschaftliche Themen und die sowjetische Intelligenz waren die StudentInnen gekommen, um auf Raumnot und unzureichende Studienbedingungen aufmerksam zu machen, ein Transparent „Aus
Uni-Not zum Vollidiot“ hing vor dem Bremer Stadtwappen.
Den ganzen Tag über hatte die studentische Aktionsversammlung mit dem festen Willen, die Bremer Uni in die bundesweiten Aktionen einzureihen, getagt. „Die Mißstände sind da“, sagte einer der morgendlichen Aktionsversammlung und viele der ca. 200 StudentInnen wollten sich schon nicht mehr „Berichte anhören, wo es überall brennt in der Uni.“ „Das hatten wir nicht so eigeschätzt, daß sich da noch was tut“, erklärte ein AStA -Vertreter der taz. Aus dem Saal drängte es zur Aktion, einer wollte „Ärger und alles mögliche in der Stadt“ erzeugen, ein anderer ein „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen wie in Berlin“.
Nach der morgendlichen Versammlung zogen 100 StudentInnen laut klatschend durch Seminarräume und Mensa. „Um es kurz zu machen: Wir wollen der perspektivlosen und frustrierenden Situation der Studenten ein Ende machen“, erklärte einer in der Cafeteria. Es gehe ihnen um „Widerstand und Uni -Perspektive“.
Gleichzeitig malten andere schon die Transparente. „Alle Profs und alle Räume - für die Uni unserer Träume“, wollte eine Studentin schreiben. „Das sagt doch überhaupt nichts aus“, unterbrach sie eine andere. Auch „MIK“ sollte nicht vorkommen, denn: „wer versteht das denn außer uns?“ (Für Neugierige: militärisch-industrieller Komplex). Schließlich kam „Kein Geld für
Monopole - die Uni braucht die Kohle“ auf das Leinen-Tuch, mit anspielungsreich zu Daimler-Sternen ausgemalten o's.
Parallel dazu debattierte eine andere Arbeitsgruppe über eine vorläufige Plattform des Protestes, die als Flugblatt verteilt werden sollte. Deren Ergebnisse wurden dann auf einer neuen Versammlung am frühen Nachmittag, bei der die Zahl der Teilnehmer schon auf 500 angeschwollen war, vorgetragen. Vielen war das aber viel zu detailliert, die Arbeitsgruppe sei „vorlesungsmäßig von Martin“ geführt worden, beschwerte sich einer. Und als „Martin“ sich als Mitglied einer studentischen Gruppe zu erkennen gab („Ich bin Sozialdemokrat“), erhob sich ein Pfeifkonzert - keine Grüppchen-Politik wollte die studentische Aktionsversammlung vorgeführt bekommen. Ob Gewerkschaften zu den „fortschrittlichen“ Organisationen und Bündnispartnern zu rechnen sind, ob die Studenten gegen High-Tech insgesamt sind oder nur gegen militärisch-industrielles, wie die Ziele des Protestes im Detail aussehen, das soll auf Debatten während eines geplanten aktiven Streiks in der kommenden Woche präzisiert werden. Nur eine allgemeine Zusammenfassung sollte als Erklärung per Flugblatt verteilt werden (vgl. Dokumentation).
Zu bunten Öffentlichkeits-Aktionen in der Sögestraße („Wir treffen uns bei den Schweinen“) ging die spontane Versammlung auseinander.
K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen