: Radikalkur, aber keine Spaltung
Günter Seiler, Mitglied der AL im Abgeordnetenhaus, zum Verhältnis Fraktion/Partei ■ I N T E R V I E W
Ein Teil der AL-Abgeordneten hat zum Ende der Legislaturperiode heftige Kritik am Verhältnis Fraktion/Partei geübt. Sieben der 15 (Seiler, Kuhn, Härtig, Jörgensen, Henschel, Kapek und Celebi-Gottschlich) sprachen sich für mehr Unabhängigkeit der Fraktionäre von Parteibeschlüssen aus.
taz: Ihr sagt, die Schere zwischen der „notwendigerweise“ reformerisch agierenden Abgeordnetenhausfraktion und der derzeit „links“ bestimmten Partei öffne sich kontinuierlich. Was ist mit dem imperativen Mandat?
Günter Seiler: Na ja, das ist ja Teil des Problems, gerade weil wir ein imperatives Mandat haben, wird das Öffnen dieser Schere besonders problematisch. Wir werden dazu gedrängt, eine Politik zu machen, die man so in den Parlamenten nicht machen kann.
Aber das hieße doch in letzter Konsequenz, das imperative Mandat müßte abgeschafft werden!
Das imperative Mandat ist sicher ein Problem, aber darum geht es uns gar nicht. Mal ein Beispiel: Man kann die wohnungsbaupolitische Debatte nicht führen, wenn alles, was da an Problemen auftaucht, hinter der Parteiforderung „offene Grenzen“ zurückzustehen hat. Wenn man in dieser Weise gebunden ist, kann man nur noch diese Gebetsmühle wiederholen.
Ihr sagt weiter, die Fraktion hätte Fehler gemacht in ihrem Verhalten gegenüber der Partei. Was soll das heißen?
Wir haben zu lange den innerparteilichen Konsens über alles gestellt. Ein Beispiel ist die Presseerklärung zu dem Anschlag auf Euren Redakteur Nowakowski. Das haben wir mitgetragen und in der Auseinandersetzung zur Partei gehalten. Wir wollten keinen Flügelstreit wie in Bonn. Tatsächlich hat das aber nur die Bahn frei gemacht für die, die wir als die „linke Mehrheit“ bezeichnen.
Ihr beklagt auch, die AL würde keine politische Verantwortung mehr übernehmen. Ist das ein Plädoyer für Realpolitik?
Nein, das heißt zunächst, daß eine offensivere Oppositionspolitik gemacht werden muß. Nun wird die Partei sicher sagen, das haben wir doch gemacht, bei IWF zum Beispiel. Aber die Mehrheitsströmung macht das nur in eine Richtung, sie sucht das Fundamentalbündnis. In andere Richtungen hat man das sehr vernachlässigt.
Eure Perspektive heißt „Radikalkur“, ihr wollt aber keinen Bruch. Wie ist das zu vereinbaren?
Radikalkur heißt für uns nicht Spaltung, sondern daß wir eine gewisse Zeit außerhalb der verfestigten AL-Strukturen an Themen orientiert Politik machen müssen.
Interview: Brigitte Fehrle
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